Zwei, die es fast verstanden haben

Es ist amüsant, aber auch ein bisschen traurig, Christen dabei zuzusehen, wie sie die richtigen Überlegungen anstellen, ihre Umgebung beobachten, daraus logische Schlüsse ziehen, und dann kurz vor dem Ziel, nachdem sie schon alle Hürden genommen haben, sich noch eine unüberwindliche Blockade bauen, um gleich dagegenzuknallen. Der Grund dafür sind religiöse Denk-Hindernisse, die dann doch zu tief in sie hineingepflanzt wurden, und die sie auch nicht überwinden wollen, selbst wenn sie könnten.

Das erste Beispiel ist der Artikel Wem nützt Beten? bei der Tagespost. Der Autor erzählt die Geschichte, dass er von einem Bischof auf die Frage Warum will Gott, dass wir ihn anbeten? folgende Antwort erhalten hätte:

Er will es, weil er weiß, dass es gut für dich und dein Seelenheil ist. Aus Liebe und Fürsorge.

Natürlich ist schon die Frage unsinnig, sie enthält zu viele Annahmen, die nicht nur nicht gesichert sind, sondern in anderen Kontexten kategorisch abgestritten werden (Wir können Gott nicht begreifen oder wissen, was er will).

Der Bischof aus der Geschichte tut natürlich das, was Gläubige in dieser Situation immer tun: Da ihm keine Kommunikation mit seinem nicht existenten Gott möglich ist, sagt er einfach das, was er denkt, und spiegelt Autorität vor, indem er die Aussage seinem Gott zuschreibt.

Der Autor, dem schon die Frage mißlungen ist, fand die Antwort irgendwie klug, verstand sie nur nicht ganz.

Jetzt, in einer privaten Notsituation, hat er endlich die Eingebung. Aber zuerst verrät er uns seine früheren Gedanken zum Gebet.

Er erkannte richtig, dass Gebete, die um etwas Konkretes bitten, anderen Aspekten der christlichen Lehre widersprechen: Dort wird ja auch mit Dein Wille geschehe gebetet, und Gott als undurchsichtig, unbegreifbar, allwissend und allmächtig angesehen. Deswegen würden sich Gebete um etwas Konkretes, die mit dieser Klausel beginnen, ins Absurde drehen.

In Wirklichkeit hat die organisierte Religion eine theoretische Schutzwall um das Konzept des Betens errichtet, und konkrete Gebete werden genau mit dieser Argumentation der Unberechenbarkeit der Wege des Gottes diskreditiert. Also gebetet werden soll schon, auch mit konkreten Zielen (für die Einheit der Christenheit, gegen das Coronavirus oder für guten Verlauf nach einer Operation, letzteres mit negativen Folgen für die Opfer des Gebets). Nur soll man sich nie sicher sein, dass das erwünschte Ergebnis auch eintritt. Heutzutage versuchen die Mainstream-Kirchen lieber, Gebet als Dialog mit einem Gott darzustellen.

Die frühere Auffassung des Autors war also richtigerweise, dass das Konzept des Gebets anderen Vorgaben der katholischen Variante des Christentums widerspricht. Das hat ihn anscheinend nur nicht ausreichend gestört, sodass er es weiter versucht.

Zurück zum Artikel. Die überraschende Wendung ist eine Richtung Esoterik, auch wenn der christlich gehemmte Autor das nicht erkennt. Seine Eingebung lautet:

Beten, das war plötzlich evident, setzt Zeit und Raum außer Kraft! Und wenn das so ist, ist Beten das Klügste und Raffinierteste, das ein Mensch überhaupt tun kann.

Das Gefühl, dass Zeit und Raum außer Kraft gesetzt werden, ist eine häufige, beabsichtigte Wirkung von Drogen. Mit genügend Übung kann man aber auch mit monotonen geistigen Tätigkeiten wie dem Aufsagen von Mantras, Meditation und in besonders kritischen Situationen in einen ähnlichen Gemütszustand gelangen. Erkenntnisse in so einem Zustand können sehr überzeugend wirken. Evidenzbasiert (evident) sind sie halt nicht. Das zeigt sich in diesem Fall besonders gut.

Man befindet sich in Kommunikation mit der Lebenskraft schlechthin, ohne die kein Herz schlagen, kein Grashalm wachsen, keine Zelle sich teilen und immer wieder teilen könnte. So etwas nicht zu praktizieren, schien mir auf einmal schlichtweg dumm und fahrlässig.

Und schon wird's esoterisch. Eine Lebenskraft, ohne die keine Zelle sich teilen könnte, ist in keiner christlichen Lehre vorhanden (die klassisch nichts über Zellen wussten). Es ist auch im Artikel nicht erklärt, wie man wüsste, gerade mit dieser Lebenskraft (deren Existenz nicht belegt ist und mit unserem Wissen über die Welt nicht zusammenpaßt) zu kommunizieren. Schaut mehr danach aus, als wäre es ohne weiteres Wissen dumm, dieses Gebet zu praktizieren. Sonst wird man ja kirchlicherseits vor dem Einfluss von Dämonen und bösen Geistern gewarnt, die etwas suggerieren können, was nicht den Lehren entspricht. Auf solche Aussagen und die Weigerung, sie zu widerrufen, wäre vor nicht allzu langer Zeit die Exkommunikation gefolgt. Jetzt kommen sie in katholisch-reaktionäre Kampfblätter.

Wenn das Gebet also die Gesetze von Zeit und Raum und sämtliche anderen Gesetze außer Kraft setzt, mit denen wir vertraut sind, ist dies der einzige Ort, an dem es sinnvoll ist, seine innigsten Wünsche zu platzieren.

Ja, wenn. Wenn jedoch nicht, und alles, was wir wissen, deutet in diese Richtung, dann waren diese Ausführungen nur wirre Gedankenfetzen in einem beeinträchtigten Gehirn. Dafür haben wir gerade solide Evidenz gesehen.

Was ich eigentlich sagen will: Danke, Mami, dass Du mir das Beten neu beigebracht hast. Und das vom Klinikbett aus. Ohne ein Wort zu sagen. Und über 500 Kilometer hinweg. Du bist die Beste!

OK. Hier hat jemand eine weder mit dem Stand der Psychologie noch mit christlichen Lehren vereinbare Erklärung des Gebets für sich gefunden und ist glücklich. Das ist schön. Wie das anderen helfen soll, entschließt sich wohl nur wenigen LeserInnen. Subjektiver kann eine religiöse Erfahrung kaum sein, konkrete Ergebnisse (und um diese ging es in der Einleitung) erscheinen irrelevant – es geht nur um die persönlichen Gefühle. Beten als Ersatzbeschäftigung, ohne Konsequenzen in der echten Welt, aber mit einem irrationalen guten Gefühl. Wie weise der Bischof doch (nicht) war.

Ein Pastor erklärt uns den Atheismus

Das zweite Beispiel ist Atheismus: 5 Gründe, warum ich kein Atheist bin von einem Pastor Alexander Garth. Er bezeichnet sich auf seiner Homepage als Experte für Atheismus und demonstriert hier, wie falsch er damit liegt.

Jemand, der regelmäßig symbolische Kannibalismus-Zeremonien leitet, muss von Haus auch ziemlich an seiner Glaubwürdigkeit arbeiten. Der gute Pastor scheitert an dieser Aufgabe grandios.

Wir sollten auch nicht vergessen, dass eine theologische Ausbildung, also die Voraussetzung, als Pfarrer zu arbeiten, zumindest die Grundlagen der Philosophie beinhaltet. Man sollte also zumindest erkennen, wenn Argumente keine Basis haben oder nicht mit logischen Zusammenhängen verknüpft sind. Das ist ohne Ausbildung entschuldbar, mit einem Universitätsstudium weniger. In diesem Fall ist es ein Armutszeugnis für den Lehrstuhl.

Der Artikel beginnt mit einem fiktiven Gedankenexperiment über einen Atheisten, einen Philosophen und einen Theologen. Der Autor schafft es, die Positionen jedes Akteurs unglaubwürdig bis falsch darzustellen. Aber das ist komplett egal, es werden keine Schlüsse aus diesem schiefgegangen Gedankenexperiment (was in einem eigenen ebensolchen, über den man die volle Kontrolle hat, schon eine Leistung ist) gezogen.

Es geht gleich weiter, indem der Autor seine Sicht auf AtheistInnen erklärt, ganze anderthalb Absätze lang fast korrekt. Er erwähnt die längst widerlegten Gottesbeweise, die Nicht-Nachweisbarkeit von GöttInnen, und sogar die naheliegende und sozialwissenschaftlich gut erklärte Entstehung von Gottesvorstellungen in der Geschichte der Menschheit. Der Artikel könnte hier aufhören, Gläubige könnten über diese Argumente nachdenken und feststellen, dass sie in ihrer Gemeinde bisher für Geld angelogen wurden.

Plötzlich geht es jedoch steil bergab.

Gott kann man sich nicht vorstellen, weil er uns unendlich überlegen ist. Ein Gott, der in unseren Kopf passen würde, wäre kein Gott, sondern nur eine menschliche Idee von Gott. Wie kann der Ozean in eine Tasse passen?

Kein Mensch hat ein vollständiges Bild von der Titanic bis in alle Einzelheiten, trotzdem kann man über ihre Existenz sinnvolle Überlegungen anstellen und Aspekte wie Seetüchtigkeit, Ausstattung oder die Reiseroute diskutieren.

Wir sind in allen Bereichen des menschlichen Lebens mit Sachverhalten konfrontiert, die zu komplex für ein einzelnes Hirn sind. Das hindert uns nicht daran, unser Wissen evidenzbasiert weiterzuentwickeln und falsche Aussagen über den Sachverhalt zurückzuweisen.

Das ist also Geschwurbel, um nicht genau definieren zu müssen, was man unter Gott versteht, wie man diesen nachweisen oder auch nur über seine Eigenschaften sinnvoll reden könnte. Mit der Existenz oder Nicht-Existenz des behaupteten Gottes hat das aber nichts zu tun – dieses Gerede lenkt nur von der Frage ab. Gerade von einem nicht existierenden Gott kann man beliebig komplexe, frei erfundene Aussagen aufstellen, während ein existierender diese – wenn es für ihn relevant ist – irgendwann korrigieren würde.

Dann wird eines der wenigen Bibelstellen, in denen kein Gott erkennbar ist (sonst mischt er sich ja laufend ein) zitiert und victim blaming betrieben:

Der Prophet Jesaja beschreibt das so: „Ihr meint wohl, der Herr sei zu schwach, um euch zu helfen, und dazu noch taub, sodass er eure Hilferufe gar nicht hört. O nein! Eure Schuld steht wie eine Mauer zwischen euch und eurem Gott.“

Und daraus irgendwie folgend:

Eigentlich entstand der Atheismus aus der konsequenten Reflexion dieser Wirklichkeit. Das Christentum bleibt nicht bei dieser Wirklichkeit stehen.

Der Atheismus entstand nicht. Atheismus, das nicht-Glauben an GöttInnen, ist der Grundzustand des Menschen. Es hat lange gedauert, bis sich Gottesvorstellungen in Gruppen von Menschen ausbreiteten – und in allen Gruppen andere. Es war in der Menschheitsgeschichte eine relativ späte Entwicklung, dass ein exklusiver Gott behauptet wurde – selbst das alte Testament nennt mehrere Gottheiten neben Jahweh – und diese Vorstellung mit Gewalt durchgesetzt. Der christliche Glaube ist kein natürlicher Zustand, er muß in jede Generation neu hineinindoktriniert werden, weil er weder einfach noch logisch aufgebaut ist.

Aber der gute Pfarrer geht ja ins Fitnesstudio und kann sich einbilden, eine Diskussion gewonnen zu haben (Evidenz liefert er dafür keine). Er versucht nämlich, jemandem die Konsequenzen des Atheismus aufzuzeigen.

Eine kluge, erfahrene Theologin oder ein Philosoph würden jetzt Argumente nennen, die in der realen Welt nachvollziehbare Grundlagen haben, und diese mit logischen Schlüssen verbinden. Der Autor wählt einen anderen Weg. Er bleibt lieber auf dem Niveau der Sonntagsschule für Achtjährige und bereichert uns um folgende Erkenntnisse:

1. Wenn es keinen Gott gibt, dann weiß der Mensch nicht, wer er wirklich ist, dass er geliebt und geschaffen ist. Er hält sich für einen Zufall.

Es ist unwahrscheinlich, dass der Pfarrer das jemandem, der sich als Atheist identifiziert hat, persönlich so sagt. Das ist nämlich eine Beleidigung, die mehr über den Beleidiger aussagt als über die beleidigte Person. Diese Aussage prallt an den meisten Menschen, die nicht religiös begrenzt sind, einfach ab: Sie wissen, wer sie sind, wann sie geliebt werden und wie sie entstanden sind. Die meisten Menschen sind halt mit 14 oder 15 Jahren fertig damit, diese Fragen für sich zu klären und brauchen dafür als Erwachsene keinen imaginären Freund. Traurig, wenn der Pfarrer noch nicht soweit ist.

Abgesehen davon: Wie folgt aus der Existenz eines Gottes, dass der Mensch weiß, wer er wirklich ist? Da bestünde nur dann ein logischer Zusammenhang, wenn eine Gottheit zwingend mit der Eigenschaft ausgestattet wäre, das jedem Menschen persönlich mitzuteilen. Dafür sehen wir jedoch keine Anzeichen.

2. Der Mensch hätte kein letztes großes Ziel. Sein Leben wäre eine Reise ohne Ankunft. Wir glichen Kindern, die den Weg nach Hause nicht kennen. All unsere Hoffnungen und Erwartungen würden wir allein auf dieses Leben konzentrieren. Wir müssten aus ihm alles herausholen. Wir würden versuchen mitzunehmen, was sich uns bietet, und unsere Moral dem Lebensgenuss unterordnen. Eine unersättliche Lebensgier mit schrecklichen Folgen wäre das Ergebnis..

Hier wird die logisch unzusammenhängende Gleichsetzung von Glaube an Gott = Objektives Wissen um ein Ziel des Lebens behauptet. Dies ist jedoch eine Konstruktion mancher Religionen. Da die Religion kaum einen konkreten Nutzen im Leben nachweisen kann, behauptet sie häufig solche nicht überprüfbare Vorteile oder nützt die Behauptung zur Manipulation von Menschen. Wenn man nicht aufpasst, merkt man vor lauter Wortsalaten der Berufschristen nicht, wie wenig ihre Prämisse (Gott existiert) mit den Behauptungen zu tun hat.

Aber auch empirisch lässt sich so ein Zusammenhang nicht beobachten. ChristInnen optimieren ihr irdisches Leben in einem sehr ähnlichen Ausmaß wie AtheistInnen. Manche haben Ziele, manche nicht; manche haben sie bereits erreicht. Und die behaupteten schrecklichen Folgen lassen sich in mehrheitlich atheistischen Gesellschaften nicht beobachten.

Falls hier ein Leben nach dem Tod gemeint ist: Ein solcher ist ohne GöttInnen denkbar (und wird von esoterischen Strömungen so propagiert). Auch GöttInnen ohne ewiges Leben der Menschen nach dem Tod sind denkbar, etliche solche sind gut dokumentiert. Also ist dieses Konzept von einer Gottesvorstellung komplett unabhängig, das eine folgt nicht aus dem anderen und umgekehrt. Hier wird die Gottesvorstellung mit der Gesamtheit des christlichen Mythos unzulässigerweise gleichgesetzt. Mit christlichen Scheuklappen logisch, ohne diese nur Konfabulation.

3. Es gäbe keinen verlässlichen, absoluten Maßstab für Gut und Böse. Der Mensch wäre beliebig manipulierbar.

Dschisös. Der Gott, über den der christliche Pastor schreibt, hat nach seinem eigenen Glauben:

  • Die Ausrottung ganzer Völker befohlen, mit Ausnahme junger Frauen, damit sie Sexsklavinnen werden können

  • Einem Vater befohlen, sein Kind ihm zu opfern

  • Auf Grund einer idiotischen Wette mit seinem Widersacher Menschen gequält und umgebracht

  • Seinen eigenen Sohn sich selbst geopfert (zumindest für ein ungemütliches Wochenende), um sich mit der Menschheit zu versöhnen

  • Und Menschen, die an ihn nicht glauben, in narzistischer Weise ewige Strafen versprochen

Dieser Gott soll ein verlässlicher, absoluter Maßstab für Gut und Böse sein? Fürs Böse ja, das ist nachvollziehbar, aber wo ist das Gute? Das Gute kommt doch davon, dass Menschen Empathie und ein Gefühl von Zusammengehörigkeit mit anderen haben. Werte, die die Religionen mit allen Kräften bekämpfen. Humanistische Werte.

Die Erzählung über den Maßstab für Gut und Böse war noch nie wahr. Aber wer sie immer wieder verkünden muss, glaubt irgendwann selbst daran.

Empirisch: Wäre die Aussage wahr, würden wir einen Unterschied im Verhalten von religiösen und nicht religiösen Menschen bzw. Gesellschaften sehen. Dies ist nicht der Fall.

Der Mensch wäre beliebig manipulierbar. Der Mensch ist ziemlich, wenn auch nicht beliebig manipulierbar. Jener, der mit dieser Manipulation sein Geld verdient, weiß das. Er erzählt anderen, die vor ihm knien, und ihm vertrauen, dass sein Zauberkeks im Mund zu zweitausend Jahre altem Menschenfleisch wird, und dass sie ihm für diese Erkenntnis einen Teil ihres Einkommens schulden. Also ja, der Mensch ist ziemlich manipulierbar, und die Fans von Gotteserzählungen haben gelernt, davon gut zu leben. Und das ganz unabhängig von der Existenz eines Gottes: Die Vorgänger sowie heutige Kollegen der Manipulatoren, die von ganz anderen GöttInnen erzählen, machen es genauso!

4. Es gäbe keine letzte Rechenschaft, die der Mensch für die Früchte seines Lebens vor einem gerechten Gott ablegen müsste. Die Ausbeuter und Herrscher dieser Welt würden am Ende recht behalten und triumphieren. Menschen wie Martin Luther King oder Dietrich Bonhoeffer, die für das Gute gestorben sind, wären die großen Dummköpfe und Verlierer..

Wieder die logisch völlig untragbare Verknüpfung von Gott existiert (nicht) und Es gibt nach dem Tod eine Rechenschaft. Diese Dinge hängen nicht zusammen. Der Autor vergisst, dass AtheistInnen nicht nur an den christlichen Gott nicht glauben, sondern an keine GöttInnen. An dieser Jenseitsvorstellung ist für sie also nichts Besonderes. Sie ist nur eine weitere absurde, unbelegte Behauptung.

Empirisch: Viel zu oft behalten Ausbeuter und Herrscher am Ende recht – nicht in der Wahrnehmung anderer Menschen, aber für sich. Martin Luther King und Dietrich Bonnhoeffer werden heute nur von rassistischen Südstaaten-Evangelikalen und Neonazis, die ihre Christlichkeit demonstrativ zur Schau stellen, als Dummköpfe bezeichnet. Sie sind in einem übertragenen Sinne sogar unsterblich: Die USA haben einen Martin-Luther-King-Jahrestag, und Bonnhoeffer hat einen fixen Platz in theologischen Ausführungen, da man ihn in praktisch jedes Argument irgendwie einbauen kann.

5. Es gäbe keinen Gott, der die Herzensschreie von uns Menschen erhören würde. Der Mensch wäre in einem kalten und sinnlosen Universum völlig auf sich selbst gestellt.

Jetzt sind wir schon in der kindlichen Ich will, dass Mutti mich liebt-Phase. Das Universum ist nicht verpflichtet, allen Wunschvorstellungen von Menschen, so absurd sie auch sein mögen (etwa das Christentum), zu entsprechen, und tut es auch nicht.

Logisch gesehen wird hier wieder unzulässigerweise Gott bzw. der Glaube an einen solchen mit den behaupteten, aber unbelegten Eigenschaften gleichgesetzt (war nicht Gott, den man sich gar nicht vorstellen kann früher herbeizitiert worden?). Es wäre vorstellbar, dass ein Schöpfergott existiert, der wie beschrieben gar nichts erhört. Es wäre auch vorstellbar, dass ein Gott solche Schrei erhört, aber nichts mit dem christlichen Schöpfergott gemein hat. Diese Dinge sind also logisch komplett unabhängig. Sie als notwendige Konsequenz darzustellen ist ein logischer Fehler.

Betrachten wir die fünf Konsequenzen des Atheismus nochmal aus der Vogelperspektive. Atheismus existiert zweifellos, ihre VertreterInnen und GegnerInnen sind sich darüber einig. Atheismus ist der Mangel an oder Ablehnung von Glauben an GöttInnen. Auch unbestritten. Es gibt durchaus Konsequenzen daraus für die einzelne Person (z. B. skeptischere Betrachtung außergewöhnlicher Behauptungen) oder eine Gesellschaft mit atheistisch eingestellter Mehrheit (z. B. Abschaffung der ungerechtfertigten oder schädlichen Privilegien von Religionsgemeinschaften). Aber die kosmologischen, übernatürlichen, transzendenten Konsequenzen, die der Autor des Artikels behauptet, stehen in keinem Zusammenhang mit dieser Geisteshaltung. Für religiöse Menschen formuliert: Wie unsicher kann man sich seines Glaubens sein, wenn man befürchtet, dass der Mangel an Glauben durch andere Menschen zur Vernichtung einer ganzen Weltanschauung führt?

Natürlich stimmt es – nur anders als der Pfarrer es glaubt. Der Unglauben führt in der Gesellschaft, in der wir Menschen leben, tatsächlich zur Vernichtung dieses Weltbildes. Das ist die Entwicklung, die die fortgeschrittenen Gesellschaften auf der ganzen Welt gerade durchmachen.

Der Jünger des Unglaubens sah mich nur verdutzt an und meinte: „Sie sind wohl ein Profigläubiger?“ Ich hätte es toll gefunden, wenn wir ernsthaft ins Gespräch gekommen wären.

Das war wohl das Ende des Gesprächs. Der Gesprächspartner hat anhand dieser Aussagen den Autor richtig identifiziert, was dieser anscheinend als mangelnde Gesprächsbereitschaft empfunden hat.

Verdutzt ist auf diese Ausführungen sicherlich die richtige Reaktion gewesen – nicht wegen ihrer großen Weisheit, sondern der inkonsistenten, willkürliche Dinge vermischenden und überhaupt nicht überzeugenden Argumentation.

Es hätte wohl keinen Sinn gehabt, das Gespräch weiterzuführen. Wenn eine jahrelange theologische Ausbildung zu solchen geistigen Tiefflügen führt, und der Absolvent dieser Ausbildung nur alte, einander widersprechende, längst widerlegte Traditionen und Wunschvorstellungen äußern kann, dann sollte er diejenigen, die auch ohne besondere Ausbildung das realistischere Weltbild haben, nicht belehren – er wird sein Ziel nicht erreichen.

Wenn ein Pfarrer mit AtheistInnen diskutieren will, die gerade nicht Gewichte stemmen, und locker auf seinem Niveau mitreden können, ohne ihn verdutzt anzuschauen, hat er dazu viele Gelegenheiten. Ein Online-Stammtisch der Atheisten Österreich ist eine von diesen. Er sollte sich halt darauf gefasst machen, dass die Leute dort keinen Respekt vor seinem Stand und vor schlechten Argumenten haben.

Der letzte Absatz ist mit Das Elend des Atheisten überschrieben und handelt vom Elend eines gläubigen Mannes. Der Berufschrist theoretisiert mit diesem Mann, der in einer traurigen Situation steckt, wie es für ihn ohne seinen Glauben wäre – offensichtlich ohne Ahnung darüber, wie das wirklich ist. Ihr Fazit: Der unsichtbare Freund, der das Leid erst erzeugt oder zugelassen hat, ist immer noch die beste Alternative, solange man jede Alternative ausschließt. Was für eine Erkenntnis! Noch unterstützt von einem weisen Zitat eines Entertainers.

Am Ende des Artikels noch eine Werbung fürs Buch Warum ich kein Atheist bin: Glaube für Skeptiker des Autors. Das wirft die Frage auf: Wer soll das Buch kaufen? AtheistInnen, die diesen Artikel lesen, wohl nicht. Zu viel Unlogisches, keine glaubwürdige Beschreibung des Gegenstandes, alberne Argumentation auf Volksschulniveau: Das ist wohl eher was für Gläubige, die den Pfarrer mögen, und zur ungelesenen Bibel im Bücherregal noch etwas dazu stellen möchten, dessen Klappentext ihnen Recht gibt. Erschienen in einem christlichen Verlag, verramscht für 7,99 €.

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