Das Märchen im Märchen
Bei der deutschen Tagespost, einem konservativ katholischen Portal, das sich als
Journalismus
bezeichnet, aber nur Propaganda zusammenbringt, fand ich
einen Artikel in der Kategorie Kinderkatechese
. Er enthält eine erfundene
Geschichte
(im weitesten Sinne), und Erklärungen
dazu. Beim Lesen
kommt die Inhaltsleere des katholischen Glaubenssystems deutlich zum Vorschein.
Der Beitrag beginnt mit einer Aneinanderreihung von Sätzen, die als Märchen bezeichnet wird. Von echten Märchen unterscheidet sie sich darin, dass die Handelnden keinerlei Persönlichkeit zugebilligt bekommen, kein Konflikt stattfindet, somit null Spannungsbogen oder Interesse an der Handlung entstehen können. Aber gut, das ist bei christlicher Musik oder Filmen nicht anders: Solange eine vage als christlich wahrnehmbare Botschaft drinnen ist, sind Talent, handwerkliches Können oder die Fähigkeit, auch nur einigermaßen sinnvolle Geschichten zu erzählen, zweitrangig.
Widerwillig setze ich einen Link. Eigentlich verdient dieser Artikel, aber auch die ganze Organisation dahinter, keine in Zugriffen ausgedrückte Aufmerksamkeit.
Das Märchen geht so: Der mächtige König eines großen Reiches ließ den ärmsten Untertanen seines Reiches aufspüren und zu sich bringen, dann beschenkte er ihn reich, adoptierte ihn als Sohn, und kündigte an, ihn zum Miterben des Reiches zu machen. Er schenkte dem armen Mann Kleidung, Edelsteine und sogar baden ließ er ihn. Das war's. Diese unrealistische, in der Geschichte beispiellose, und nicht zu Ende gedachte Erzählung dient als Aufhänger für den Rest des Beitrags.
Nach der armseligen Einleitung wendet sich die Autorin an die LeserInnen, von denen sie glaubt, dass sie Kinder sind und sich auch noch für den Rest interessieren.
Was denkst du über so einen König? - Wahrscheinlich sagst Du:
Das gibt es nicht wirklich! Das macht doch keiner! Das ist zu schön, um wahr zu sein!
Selbst Kinder, die sich mit der Funktionsweise von Monarchien auskennen, wissen,
dass es – selbst wenn ein König das so hätte machen wollen – komplett
unrealistisch ist, dass ein Hof und ein existierender Prinz einen
dahergelaufenen armen Menschen als Miterben akzeptieren. Der hätte den gütigen
König nicht überlebt und wäre an der sozialen Ächtung an einem königlichen Hof
schon vorher verrückt geworden. Jagdunfälle, schlecht gewordenes
Essen,
Suizide
und andere Methoden haben immer existiert, um außergewöhnliche
und aus der Jahrhunderte alten Tradition eines Hofstaates und einer Dynastie
fallende spontane Einfälle des Königs zu berichtigen
.
Was es wirklich gibt, sind Milliardäre, tendenziell solche, die ihr Vermögen selbst erarbeitet haben, und in einer demokratischen Gesellschaft mit sozialem Gewissen aufgewachsen sind. Manche von ihnen sind tatsächlich bereit, die Hälfte ihres Vermögens oder noch mehr für wohltätige Zwecke zu vergeben. Sie schauen dabei typischerweise auf nachhaltige und gerechte Verwendung der Mittel – möglichst die ganze Menschheit oder zumindest ein großer Kreis soll eine echte Verbesserung erfahren. Das hat mit sinnlosen Gesten wie Diamanten an einen ahnungslosen Bettler nichts zu tun. Aber diese Menschen führen ihre Position halt auch nicht auf einen schlecht erfundenen Gott zurück – anders als historische Königshäuser.
Doch jetzt kommt die Überraschung: Die Geschichte von diesem großzügigen König ist nämlich kein Märchen!
Der reiche König ist nämlich der allmächtige Gott!
Uuh, was für ein plot twist! Ein unglaubwürdiges, schlecht ausgedachtes Märchen soll ein anderes, unglaubwürdiges, schlecht ausgedachtes Märchen belegen. Ja, es ist schwer, für dumme und unwahre Erzählungen Argumente zu finden, aber es gibt selbst im christlichen Bereich Leute, die es etwas besser können als diese Autorin.
Und der arme elende Untertan ist… ? Kein anderer als der Mensch, Du und ich!
Nope. Menschen, die sich als elende Untertanen fühlen, gibt es heutzutage nicht so viele. Am ehesten noch in Kirchen bzw. in Gesellschaftsschichten, in denen Kirchen auf Kundenfang gehen. Was für ein bedauernswertes Selbstbild.
Da gibt es viel Vergleichbares: Gott hat einen Sohn, Jesus. Er ist von Natur aus Gottes Sohn und Erbe seines Reiches.
Oh, warte. In der christlichen Mythologie ist Jesus identisch mit Gott, keiner von ihnen wird je sterben, das mit dem Erbe ist also ein hier komplett bizarres Konzept.
Zusätzlich nimmt er noch weitere Kinder an, adoptiert sie, nämlich uns Menschen.
Und ab hier vergessen wir ganz schnell die Eingangsgeschichte. Der König hat
eben nicht alle Untertanen adoptiert: Nein, er hat zynisch einen zufälligen
von ihnen auswählen lassen und ihn – ohne ihn zu fragen – zwangsbeglückt. Aber
wenn man in der Logik der Geschichte bleibt: Der arme Mann hatte zumindest etwas
davon. Sein tatsächliches, irdisches Leben wurde in einem wesentlichen Ausmaß
geändert, vermutlich verbessert.
Wir andererseits haben keine Methode, um dieses von Gott adoptiert werden
in irgend einer Weise nachzuweisen. (Spoiler: Weil's frei erfunden ist.)
Jetzt wird erklärt, dass diese Adoption durch die Taufe stattfindet, wobei das
Wasser für die Gnade
steht. Im Judentum und dem daraus hervorgehenden
Taufkult war Wasser noch dazu da, die Sünden wegzuwaschen, was zumindest
symbolisch irgendwie sinnvoll klingt. Aber diesen halbwegs nachvollziehbaren
Zusammenhang zu verwerfen und einen zwischen Gnade und Wasser herzustellen kann
nur einer Sekte im Endstadium einfallen.
Vier Dinge, die Gott uns in der Taufe schenkt
Anhand der Geschichte vom großherzigen König … können wir uns gut die Gnadenwirkungen der Hl. Taufe merken, die für uns Christen ganz wesentlich sind:
1. Das Familienstammbuch: Du wirst Kind Gottes.
Dummes Zeug. Die Milliardäre, die mit ihrem Vermögen Gutes tun wollen, selektieren nicht daran, ob jemand in einem Stammbuch steht. Gäbe es einen allmächtigen, allgütigen Gott, wäre es ihm komplett egal, ob jemand als schreiendes Baby mit Wasser übergossen wurde oder nicht. Das ist reine Kundenbindungs-Propaganda der katholischen Kirche in ihren letzten Phase.
2. Das kostbare Gewand: Du bekommst das Kleid der
heiligmachenden Gnade.
So explizit verweisen die Christen sonst nicht auf das Märchen Des Kaisers
neue Kleider
–
in dem es gar keine Kleidung gibt, sondern geschickte Betrüger ihre Opfer damit
täuschen und sie dazu bringen, sich die Kleidung einzubilden.
Gnade ist ein sehr abstraktes Konzept. Sie ist von sehr asymmetrischen, ungleichen Verhältnissen gekennzeichnet: Eine Person mit Macht (Bundespräsident, Sieger im Krieg, König, …) entscheidet nach eigenem Gutdünken über das Schicksal einer sonst vollkommen ausgelieferten, machtlosen Person. Dass man hier bisher mit Gewalt zwei Symbole für dieses Konzept herbeireden muss, zeigt deutlich das Weltbild dieser bedauernswerten Religionsopfer. Die auch noch bei jeder Gelegenheit behaupten, sich durch den Glauben frei zu fühlen. Es ist schwer, sich noch stärker selbst zu betrügen.
3. Die Medizin: Gott reinigt und heilt dich. Er wäscht die Erbsünde weg und befreit Dich von den hässlichen Wunden der persönlichen Sünden und Sündenstrafen.
Und schon wieder Lügen – nichts davon ist nach ca. 1.950 Jahren Christentum
jemals nachweisbar gewesen. Die Erbsünde, ein zutiefst katholisches Konzept,
muss dieser Gott wegwaschen und jemanden von Wunden
der Sünden
befreien, in einer Welt, die angeblich genau dieser Gott so eingerichtet hat.
4. Die 3 Edelsteine: Dir werden die 3 göttlichen Tugenden ins Herz gelegt – Glaube (Diamant), Hoffnung (Smaragd) und Liebe (Rubin).
Wieder sinnbefreite, oberflächliche Symbolik. Echte Edelsteine zu verschenken hat in der Welt tatsächliche Auswirkungen. Die großen Sammlungen von Edelsteinen und Edelmetallen im Vatikan und in anderen katholischen und orthodoxen Kirchen sind aber nicht zum Verschenken gedacht.
Hier, statt echter Werte schenken wir dir die erfundene Erzählung von Symbolen für Werte. Das sind mindestens zwei Ebenen von nichts. Eine peinliche Vorstellung. Das soll der Indoktrinierung von Kindern dienen, aber die wissen es besser. Sie lieben es, etwas Wirkliches zu bekommen und durchschauen schnell, wenn es immer nur leere Versprechungen sind. Willkommen, neue Generation der jungen AtheistInnen!
Das alles wird uns geschenkt durch die Taufe! Was da geschieht, ist etwas Heiliges und für Dein ganzes Leben sehr Bedeutsames.
Viermal nichts! Und du hast es nicht einmal mitbekommen, weil deine Eltern dich ohne dein Einverständnis der Zwangstaufe unterzogen haben! Gratulation!
Und nun denk nochmal an den König aus der Geschichte: Der arme Mann bekommt die Geschenke ganz ohne eigenes Verdienst, ohne Gegenleistung, gratis eben (Das Wort stammt von „gratia“ = Gnade)! So unbegreiflich groß ist die Güte unseres Gottes.
Noch einmal kurz in die Logik
der Geschichte eintauchen: Der König mit
seinen doch endlichen Mitteln hat die Hälfte davon hergeschenkt. Der allmächtige
Gott schenkt uns – gar nichts! So unbegreiflich groß ist die Güte!
Du kennst natürlich das Datum deines Geburtstags. Kennst du denn auch das Datum deines „himmlischen Geburtstags“, nämlich deines Tauftags?
Wahrscheinlich nicht, ist aber auch unwichtig. In den meisten Fällen werden es auch die Eltern schon vergessen und verdrängt haben. Aber die Oma oder die Erbtante haben damals noch so hartnäckig darauf gepocht, dass das Kind getauft werden muss. Ein Schicksal, das 2020 in der katholischen Kirche nur mehr knapp über einem Drittel der in Österreich geborenen Kinder angetan wurde. Jene, die jetzt geboren werden, sind in der immer kleiner werdenden Minderheit, wenn sie getauft sind.
Mit diesen Fragen, die das Kind animieren sollen, die Verwandtschaft noch einmal mit dem Thema Taufe zu belästigen, geht der Beitrag zu Ende. Aber nicht ohne einen guten Rat:
Hast du noch deine Taufkerze? Frag mal deine Eltern! Vielleicht könnt ihr sie in Zukunft an deinem Geburtstag, Namenstag und Tauftag aufstellen, entzünden und ein kleines Gebet sprechen.
Ich schätze die Auswirkungen dieses Aufrufs als sehr gering ein. Ein Propagandastück
aus der untersten Schublade, arrogant und bevormundend, komplett talentfrei und
ohne jede Rücksicht auf die Realität zusammengeschustert. Wenn das katholischer
Journalismus
ist und die Redaktion sich nicht schämt, so etwas zu
veröffentlichen, dann verdient die Gemeinschaft dahinter wirklich das
Verschwinden in die Bedeutungslosigkeit.