Wer soll wen missionieren?
Die Wohltäter der Menschheit im Vatikan haben den
Weltmissionssonntag,
nein, warte, den Monat der Weltmission
ausgerufen, die größte Solidaritätsaktion der Katholikinnen und Katholiken
weltweit
. Dabei stellen sich eine Menge Fragen: Wem nützt Mission? Wem
schadet sie? Wer bezahlt sie und wer sollte wo missionieren? Und wer versteht
überhaupt, dass es sich dabei häufig um ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt?
Mission als christlicher Auftrag
In klassisch christlicher Tradition hat sich die Kirche das lateinische Wort für
Auftrag
angeeignet, und versteht darunter den Auftrag, den eigenen
Glauben zu verbreiten. Je nach Einfühlungsvermögen und Taktgefühl gehen die
unterschiedlichen Kirchen dabei mehr oder weniger aggressiv vor. Die Ausrede
ist, Seelen zu retten; in Wirklichkeit geht es immer auch um die Vergrößerung
des eigenen Einflusses und der Einnahmen.
Im Gegensatz zu vielen katholischen Bräuchen hat der Auftrag, andere zu
bekehren, tatsächlich einen biblischen Hintergrund. Teilweise werden die
Geschichten um Jesus sogar als Vorbereitung aufs Missionars-Dasein
interpretiert: Die regelmäßige Zurückweisung, ausgelacht werden, das
Unverständnis für absurde Erzählungen, die Gefahren und Entbehrungen, die man
auf sich nimmt, um den Opfern die eigene Weltsicht aufzuschwatzen. Jesus
selbst gibt in den Geschichten den Jüngern den Auftrag, seine Botschaft zu
verbreiten: Einmal nur bei JüdInnen, keinesfalls aber bei Andersgläubigen (Mt
10:5-6), an anderer Stelle aber doch auf der ganzen Welt.
Die katholische Kirche betreibt Mission mit extra dafür gegründeten
Institutionen. Auch in Österreich existiert eine Missio
, das päpstliche
Missionswerk. Mittel aus reichen Staaten finanzieren die Mission auf der ganzen
Welt. Mit wenigen Ausnahmen: Dort, wo es politisch nicht opportun oder zu
gefährlich ist, streiten Katholiken jeden
Verdacht
von Bekehrungsversuchen ab.
Die jahrhundertelange Geschichte von Entdeckung
, Eroberung und
Kolonialisierung großer Teile der Erde durch christliche Europäer ist ohne die
stets mitreisenden Missionare undenkbar. Überall wurden Menschen mit mehr oder
weniger Zwang bekehrt
, die Kirche wurde als fixer Teil der kolonialen
Staatsordnung etabliert und profitierte massiv von der Ausbeutung ganzer Völker.
Es ist nicht nur die katholische Kirche, die aggressiv missioniert. Auf der nach
oben offenen Skala der problematischen christlichen Konfessionen sind
Vertreter des
Wohlstandsevangeliums,
eine wilde Mischung aus Fernsehpredigern und anderen Betrügern (Scamvangelists),
ganz prominent vertreten. In den USA blenden sie ca. 17 % der Bevölkerung, und
sie wachsen in Westafrika und anderswo
ganz stark. Paula White, die
spirituelle Beraterin
von Ex-Präsident Trump ist genauso eine von ihnen
wie Kenneth
Copeland,
der gerne mit seinen Privatjets angibt. Unabhängige Megachurches in den USA
fallen meistens in diese Kategorie.
Die Erzählung vom Wohlstandsevangelium (prosperity gospel) lautet ungefähr so:
Gott belohne richtiges Verhalten schon im irdischen Leben, materieller Wohlstand
sei also Ausdruck eines gottgefälligen Lebens, und eine Folge davon. Ganz
wichtig sei, an Gott
(also, da kein Gott wahrnehmbar ist, die jeweilige
Kirche) zu spenden, dies käme siebenfach zurück. Diese Lehren, mit der Bibel
natürlich in keiner Weise vereinbar, erscheinen ungebildeten armen Menschen in
vielen Ländern attraktiv – machen sie aber noch ärmer. Selbst andere
christliche Gemeinden grenzen sich teilweise von diesen betrügerischen Gruppen ab.
Die Schattenseiten der Mission
Bei zivilisierten Menschen setzt sich nach und nach die Auffassung durch, dass religiöse Missionierung ein toxisches Überbleibsel aus finsteren Zeiten ist. Sie impliziert ja, dass die eigene Variante der Religion allen anderen überlegen sei, und stellt damit die Kultur der zu missionierenden Personen als minderwertig dar. Das wird nicht von ungefähr als Kulturmord und Ethnozid bezeichnet. Bei bislang unkontaktierten, isolierten Völkern kommt die sehr reale Gefahr der Verbreitung von Krankheiten, gegen die sie nicht immun sind, also echter, früher leichtfertiger, mit heutigem Wissen abscheulicher biologischer Völkermord dazu. Missionierung kann töten.
Deutschland hat als eines von wenigen Ländern ein Gesetz gegen diese Menschenrechtsverletzungen beschlossen – im April 2021.
Wer der Meinung ist, Mission sei grundsätzlich etwas Gutes und Positives, soll kurz im Kopf die Situation durchspielen, von Mormonen oder islamischen Missionaren (je nach eigenem Bekenntnis) angesprochen zu werden. Stellen die deren Weltsicht über die eigene? Wird damit die eigene Religion abgewertet? Ist das OK? Und warum soll es dann im umgekehrten Fall in Ordnung sein?
In manchen Großstädten im deutschen Sprachraum kann man sich in Fußgängerzonen
kaum von Menschen retten, die ihre eigene Form vermeintlicher Rettung anbieten.
Der Erfolg dieser MissionarInnen ist jedoch begrenzt: Die meisten Gesellschaften
in Europa wenden sich von Religionen ab. In Deutschland sind katholische und
evangelische ChristInnen zusammen nicht mehr die Mehrheit; in Österreich ist der
Anteil der freiwilligen Katholiken
auch unter 50 % gefallen.
Seit 2020 wird weniger als die Hälfte der Neugeborenen katholisch getauft.
Nur 30 % der Jugendlichen, die in der Jugendstudie 2020 als christlich
eingestuft
wurden, glauben an Gott/etwas
Göttliches
;
nur 10 % üben religiöse Rituale aus.
Während Mitgliederzahlen religiöser Gruppen in Europa und den USA implodieren,
rühmt sich die katholische Kirche mit dem Wachstum in Afrika und
Asien.
Dort, mit großem Mitteleinsatz aus reicheren Ländern, kann die Kirche noch ihre
Verquickung von geistlicher
und tatsächlicher Hilfe inszenieren und
Waisenheime, Schulen und Krankenhäuser ohne wirkliche Alternativen nach ihren
Regeln betreiben. Indoktrinierung und die Verbreitung von inakzeptablen Lehren
wie das Verbot der Empfängnisverhütung, für Afrika wegen HIV und
Bevölkerungsexplosion fatal, natürlich inbegriffen. Der Vatikan und seine
Mission sind direkt für Millionen AIDS-Tote und großes Leid in Afrika
verantwortlich.
Was ist die Voraussetzung für Mission im Ausland? Geld und personelle Ressourcen. Die Implosion der Kirchen in Europa entzieht ihnen beides; die finanziellen Mittel und die ausgebildeten Priester werden im Ursprungsland gebraucht. (Priester werden tatsächlich seit einiger Zeit importiert.) Jeder Austritt aus einer Kirche hilft mit, schädliche Missionierung im Ausland zu reduzieren.
Mission in Europa?
Der Rückgang der Religiösität in reichen, gebildeten Ländern wird in den Kirchen
mit wachsender Sorge gesehen. Ein besonders kreativer Vorschlag kam von Kardinal Philippe Ouédraogo aus Burkina
Faso: Die Kirche in Afrika muss sich auch an der Evangelisierung der Welt
beteiligen
. Er weist zwar darauf hin, dass die Ursache der Probleme
afrikanischer Länder zu einem großen Teil in der Ausbeutung durch den Westen
liegt, aber verschweigt die Jahrhunderte lange Beteiligung seiner Kirche daran.
Er wünscht sich auch weiterhin finanzielle Unterstützung aus dem Westen und ein
Ende des Abwerbens afrikanischer Priester, die sich in Europa niederlassen.
Der Vorschlag ist nicht wohl durchdacht (vorsichtig ausgedrückt). Die beiden
Voraussetzungen, Geld und Missionare fehlen, wie er selbst feststellt. Die
Vorstellung ist, dass junge Männer aus Afrika in den Zielländern eine merkbare
Anzahl von Menschen Bekehren könnten. In Europa herrschen Bedingungen wie
Alltagsrassismus auch in
Kirchen, und die Abkehr von Religionen allgemein ist ein bewusster Prozess,
keine Folge von Unwissen. Es ist ja nicht so, dass wir noch nicht die frohe
Botschaft gehört
hätten: Nein, wir glauben sie nur nicht, egal aus wessen
Mund sie kommt.
Im Jahr 2021 gehören Idee und Praxis der Missionierung nicht gefeiert, sondern kritisiert und bekämpft. Wir wissen, dass die Unterstützung der Mission dazu beiträgt, Völker und ihre Kultur zu vernichten. Diese Ansicht sollte sich langsam auch bei aufgeklärten, demokratisch empfindenden religiösen Menschen, aber auch in der Gesetzgebung durchsetzen. Wird die Missio in Österreich irgendwann als kriminelle Vereinigung verboten oder merkt die Kirche, dass sie schädlich ist und löst sie auf? Wird sie ihre Opfer entschädigen? Wir wissen es nicht. Argumente dafür gäbe es jedenfalls genug.