Predigt-Check: Paul Zulehner

Der frühere Theologieprofessor und Geistlicher Paul M. Zulehner hat zu Weihnachten eine Predigt in seinem Blog publiziert, die sehr gut zwei Kernelemente des Genres illustriert: Einerseits die Notwendigkeit (oder doch freie Entscheidung?), falsche Informationen als Fakt zu präsentieren, andererseits die willkürliche Einteilung in gute Dinge, die alle von Gott kommen und schlechte, mit denen er natürlich nichts zu tun hat.

Die Person, von der die Predigt stammt, ist nach vielen Jahren Gewöhnung an diese Praxis so verblendet, dass solche inhaltliche Probleme sie nicht einmal stören.

Der Titel der Predigt ist Fürchtet euch nicht!, ein beliebtes Thema bei Geistlichen. Am Beginn steht gleich ein Bibelzitat:

In jenen Tagen erließ Kaiser Augustus den Befehl, alle Bewohner des Reiches in Steuerlisten einzutragen.

Dies geschah zum ersten Mal; damals war Quirinius Statthalter von Syrien.

Da ging jeder in seine Stadt, um sich eintragen zu lassen.

So zog auch Josef von der Stadt Nazaret in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Betlehem heißt; denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids.

Viele Aussagen in der Bibel beschreiben Ereignisse, von denen wir nicht wissen, ob sie stattgefunden haben. Diese Sätze sind jedoch solche, die gesichertem historischem Wissen widersprechen – und das wissen wir schon lange. Eine erschöpfende Betrachtung des Themas gibt es vom Historiker Richard Carrier, mit zahlreichen antiken Quellen belegt.

Volkszählungen im gesamten römischen Reich fanden erst später statt – im Jahr 74 unter Vespasianus und Titus. Der Autor des Lukas-Evangeliums, der nach diesem Datum, wahrscheinlich Jahrzehnte später, schrieb, konnte sich daran wohl noch erinnern – oder übernahm aus seiner Quelle, dem jüdischen Geschichtsschreiber Josephus, diese Information falsch.

Quirinius wurde im Jahr 6 unserer Zeitrechnung Statthalter der Provinz Syria. Syria war weiter in Teile wie Galiäa, Judäa und so weiter unterteilt. Vorher konnte es in Judäa gar keine römische Volkszählung geben, weil erst mit dem Amtsantritt von Quirinius Judäa an Syria angeschlossen wurde. Es war üblich, in solchen Situationen Volkszählungen in der jeweiligen Provinz zur Feststellung der Anzahl der wehrfähigen Männer und für die Besteuerung abzuhalten. Damit ist ein frühestes Datum für die eventuelle Geburt von Jesus laut Lukas-Evangelium festgelegt – das dem Matthäus-Evangelium, das 4 vor unserer Zeitrechnung als spätestes Datum (Tod von Herodes dem Großen) behauptet, widerspricht. Tatsache ist, wenn es einen Jesus Christus gab, wissen wir das Jahr seiner Geburt weder aus den Evangelien noch aus anderen Quellen.

Die Behauptung, jeder sei in seine Stadt, in Josefs Fall Betlehem, die Stadt Davids, gegangen, ist absurd und natürlich auch nicht historisch. Fürs römische Reich war es komplett unerheblich, wer seinen Stammbaum auf welchen König, der 600 Jahre vorher gelebt hat oder auch nicht, zurückführen konnte. Im Gegenteil: Für eine Volkszählung riesige Menschenbewegungen über Gebietsgrenzen hinweg auszulösen, nur um die Anzahl der waffenfähigen Männer und Steuerzahler dadurch komplett verzerrt zu erheben, kann nur Theologen logisch erscheinen. Da über 600 Jahre jeder Mensch bis zu 8 Millionen Ahnen hat, und eine Abstammung von David für praktisch alle Juden als erstrebenswerte Angabe galt, hätte das für Betlehem zu enorm überhöhten Steuerzahlungen geführt.

Klar theologisch, nicht historisch ist also der Grund, wieso das ins Evangelium hineingeschrieben werden musste: Um Prophezeiungen aus dem alten Testament als erfüllt darstellen zu können, musste der Messias in der Erzählung in Betlehem geboren werden, aber in Nazareth aufwachsen. (Wenn man viele anderen Aussagen über den Messias ignoriert.)

Sollte ein Theologieprofessor das wissen? Nein, er muss das wissen. Wer sich mit der Entstehung der Evangelien und dem Leben von Jesus wissenschaftlich beschäftigt, kann das historische Hintergrundwissen nicht ausblenden. Aber für die Tradition, den armen Baby-Dschisös erzählerisch in eine Krippe legen zu können, nimmt man diese absurden Falschbehauptungen in Kauf.

Das führt zur Situation, dass die predigende Person bewusst die Unwahrheit sagen oder schreiben muss, wenn sie solche Stellen der Bibel zitiert. In anderen Situationen nennen wir das Lügen. Wenn das für diese Leute ein Problem wäre, könnten sie die Teile auch auslassen – sie tun es halt nicht.

Weiter in der Predigt.

In jener Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde.

Da trat der Engel des Herrn zu ihnen und der Glanz des Herrn umstrahlte sie. Sie fürchteten sich sehr, der Engel aber sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll…

Jetzt kommt Zulehner zum eigentlichen Thema der Predigt: Fürchtet euch nicht. Engel wurden im alten Testament (und zur Entstehungszeit des Lukas-Evangeliums gab es kein neues) als furchterregende Wesen dargestellt, die Furcht wäre in der Binnenlogik der Erzählung also begründet. Damit sie dem Engel überhaupt zuhören, ist die verbale Beruhigung notwendig.

Unser Engel singt von einer großen Freude, die dem ganzen Volk, also uns zuteilwerden soll. Und dann der in der Bibel so oft wiederkehrende Zuruf: Habt keine Angst! Fürchtet euch nicht!

Ja, die Phrase kommt in der Bibel öfter vor, vielleicht weil die Adressaten damals so viel zu fürchten hatten? Wir erinnern uns: Inhalte in der Bibel sind keine Belege, es sind Behauptungen.

Die Theologin und Psychotherapeutin Monika Renz schrieb ein hervorragendes Buch. Es trägt den Titel: Angst verstehen. Tiefer als alle Angst liegt Urvertrauen.

Nach meiner Erfahrung ist TheologIn und Beruf gegenüber Beruf keinesfalls zu bevorzugen. Theologie hilft ja nicht gerade dabei, wissenschaftliche Methoden zu verinnerlichen, und Falsches von Wahrem zu trennen.

Ein Auszug des Buches inklusive Inhaltsverzeichnis ist online zu lesen. Daraus erfährt man, dass ein Vorwort darin von Zulehner selbst stammt, und der Inhalt einen sehr spirituellen Schwerpunkt hat. Zitat: Der Mensch ist unbewusst immer auch an diese Seinsweise angeschlossen, er ist Bürger auch dieser Welt und ewig Teil des Ganzen. Aber im Non-Dualen kann er nicht in eigener Gestalt fühlen noch in der Absicht des Eigenen wirken. Das Ganze (Gott) ist für den Menschen, insofern er Mensch mit eigenem Bewusstsein ist, unzugänglich.

Klingt hervorragend.

Von der Beschreibung der im Buch postulierten Urangst kommt Zulehner auf verschwurbelten Wegen zu aktuellen Angst auslösenden Dingen: Dem Covid-19-Virus, aber auch den falschen Erzählungen wie Mikrochips in Impfungen.

Wie gut wäre es, könnten alle diese Verängstigten, Freiheitsbesorgten den Ruf des siebten Engels hören: „Fürchtet euch nicht!“ Habt keine Ängste. Und dann nennt er auch gleich die beste Medizin gegen die Angst: „Freut euch!“ Denn dunkle Angst und helle Freude vertragen sich wirklich nicht.

Ja, wie gut wäre es (für Zulehner), wenn Wunderwesen auch in unseren Zeiten einfach nur das täten, was in den Märchenbüchern über sie geschrieben steht. Seine Kirche würde nicht jedes Jahr zehntausende Mitglieder verlieren, ihre Lehren würden noch als relevant betrachtet werden, weil es Belege für sie gäbe. So aber bleiben nur implausible Märchen, und das reicht heute nicht mehr.

Freilich, der Engel singt den Engeln keine billige Aufforderung zu. Er hat einen starken Grund dafür, dass die Angsthasen auf dem Feld und auch die Corona- und Impfangsthasen sich nicht wirklich fürchten brauchen. Denn er erzählt von einem Gott, dem seine Schöpfung nicht egal ist. Er hat sie durch sein Wort hervorgebracht.

Nein, der Engel erzählt im zitierten Text nicht von einem Gott, dem seine Schöpfung nicht egal ist. Nein, der Gott bringt seine Engel und die Menschen dazu, ihn zu verherrlichen. Seine Prioritäten scheinen ganz woanders zu liegen.

Und dass wir Menschen begreifen, wie sehr Gott zu seiner Welt und zur Menschheit steht, wurde aus der Kraft dieses Geistes das Kind im Stall zu Bethlehem geboren. Dieses Kind ist die klare Zusage Gottes an uns: Ich bin unter Euch, ich bin einer von Euch, ich gehe mit Euch, ich bin euer „Heiland“: also habt Vertrauen, fürchtet euch nicht.

Auch das steht da nicht. Nochmal die Stelle aus der Bibel:

Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr. Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.

Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Heer, das Gott lobte und sprach: Verherrlicht ist Gott in der Höhe / und auf Erden ist Friede / bei den Menschen seiner Gnade.

Der Engel erzählt von einem Kind – ohne irgendeinen Zusammenhang mit Gott. Dann kommt ein himmlisches Heer, um das Ego des Gottes zu befriedigen. So schwer ist der Text nicht zu lesen – offensichtlich ist es auch zu leicht, in ihn Dinge hineinzulesen, die nicht enthalten sind. Sie entsprechen natürlich der christlichen Erzählung – aber wenn man sich schon die Mühe macht, etwas biblisch zu belegen, sollte das auch stimmen.

Außerdem: Wieso sollen wir auch nur Teile der ganzen Geschichte glauben, wenn sie mit erwiesenen Falschbehauptungen beginnt? Was ist der Unterschied zwischen einer Familie, die für eine Volkszählung anderswo hinwandern muss, und einem Mikrochip in der Impfung? Kaum etwas. Beide Erzählungen wurden erfunden, um Menschen zu manipulieren. Durch häufige Wiederholungen halten Menschen sie für wahr.

Fürchtet euch nicht!

Das gilt auch für die Zeit der Pandemie und der Klimakrise. Wir haben Gottes Beistand. Dazu inspiriert er die Wissenschaftler, lässt sie Impfstoffe entwickeln,

Was für eine billige, niederträchtige Strategie, so peinlich und leicht durchschaubar. Und der Autor merkt es wahrscheinlich nicht einmal. (Falls doch, wäre das noch schlimmer.) Ein anderer dummer Lügner, der sich die Entwicklung der Impfung unverdient auf die Fahne heftet, ist übrigens Donald Trump. Offensichtlich ein Bruder im Geiste.

Die AtheistInnen haben schon früh in der Pandemie Witze gemacht, dass die Religionen, die jede Beteiligung ihres Gottes an der Entstehung des Coronavirus bestreiten, jeden wissenschaftlichen Fortschritt in der Bekämpfung ihrem jeweiligen Sky Daddy zuschreiben werden. So kam es auch, wie wir sehen.

Bei jeder kritischen Frage über die Ursachen von Leid und negativen Ereignissen lautet die schulterzuckende Antwort der Profichristen: Gottes Wege sind unergründlich. Selbst Erdbeben und Tsunamis haben irgendwie mit dem freien Willen des Menschen zu tun, den Gott vollständig respektiert.

Geht es aber um positive, erfreuliche Dinge, sind die Berufsreligiösen ganz sicher, dass ihr jeweiliger Gott die Ursache sein muss. Je gebildeter Menschen sind, desto weniger religiös? SpitzenwissenschaftlerInnen selten religiös, und von denen auch nicht alle christlich? Egal! Wie hätten sie ihre (detailliert öffentlich dokumentierten) Forschungsergebnisse anders erzielen können, als durch göttliche Inspiration?

Dieser Theologieprofessor legt erstaunlich wenig Respekt für richtige WissenschaftlerInnen an den Tag und spielt ihre Leistung herunter. Das ist unehrlich, unkollegial und unbelegt – so eine Argumentation hat mit Wissenschaft nichts zu tun. Scheint wieder, als würde Religion das Schlechteste aus Menschen herausholen.

Die unterschiedliche Behandlung negativer und positiver Dinge, natürlich ohne etwas davon zu belegen, ist eine sehr tiefe und für Gläubige wahrscheinlich schwer erkennbare Unehrlichkeit. Von außen gesehen steigern solche Dinge jedoch nicht die Wahrnehmung der Religionsvertreter als ehrliche Menschen.

gibt auch den Besorgten seinen Geist, dass sie ihren verständlichen Protest friedlich vorbringen, er gibt Politikerinnen und Politikern die Courage, Notmaßnahmen zu ergreifen, um das Unvereinbare zu vereinbaren – nämlich Freiheit, Gesundheit und Wirtschaft.

Genau diese Dinge sehen wir nicht. Die Proteste sind bereits aggressiv, die politischen Maßnahmen unsicher und ohne jede Courage. Wo lebt Herr Zulehner? Ohne korrekte Beschreibung der Wirklichkeit ist der Versuch, absurde Hypothesen über Wirkungsweisen aufzustellen, zum Scheitern verurteilt.

Fürchtet euch nicht, habt Vertrauen. Nehmen wir das Bild des siebten Engels heute aus diesem Gottesdienst mit, erzählen wir anderen davon.

Nein, sorry. Wer ein Glaubenssystem verbreitet, das mit dummen und niederträchtigen Lügen argumentiert werden muss, verdient kein Vertrauen. Genauso wenig wie seine Glaubensinhalte, oder das Buch, aus dem nicht mal die Inhalte, die belegt werden sollen, hervorgehen.

Testergebnis

Die Predigt weist schwerwiegende historische, inhaltliche und ethische Mängel auf. Sie ist für den menschlichen Konsum nicht geeignet, ihre Haltbarkeit zum Zeitpunkt ihrer Entstehung bereits abgelaufen.

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