Rezension: Rob J. Hyndman, Unbelievable

Der Statistikprofessor Rob J. Hyndman war nach eigenen Angaben dreißig Jahre lang in einer christlichen Gemeinschaft engagiert. Sein Wunsch, einem ausgetretenen früheren Mitglied zu erklären, warum er als Wissenschaftler eine Basis für seinen Glauben hat, führte in kurzer Zeit dazu, dass er selbst seinen Glauben verlor.

Darüber hat er ein Buch geschrieben, das im Internet frei zugänglich und auch als Taschenbuch erhältlich ist.

Rob J. Hyndman ist ein fleißig publizierender Professor für Statistik in Australien. Einer seiner Schwerpunkte ist die Vorhersage von Zeitreihen, also z. B. jährlichen oder monatlichen Daten. Aus diesem Zusammenhang kannte ich ihn und seine Bücher über eben dieses Thema schon länger.

Vor kurzem stieß ich auf sein Buch Unbelievable, das nichts mit Statistik zu tun hat. Als Professor kann er gut und verständlich, präzise und überzeugend schreiben; das Buch ist nicht allzu lang, die Web-Version kann man in wenigen Stunden durchlesen.

Prof. Hyndman war dreißig Jahre lang Mitglied einer Gruppe namens Christadelphian. Der Name ist eine Zusammensetzung von Christus und adelphoi (Brüder), die Ansichten sind stark bibelgläubig, baptistisch (sie taufen also nur Erwachsene, die das wollen) und adventistisch (sie erwarten und hoffen auf eine Auferstehung und die Wiederkunft Christi). Der Ursprung der Gemeinde liegt in den USA der Mitte des 19. Jahrhunderts. Wie viele andere Abspaltungen von Abspaltungen, die wir heute noch kennen, fand auch der Gründer endlich den einzig richtigen Weg, die Bibel zu interpretieren. Vielleicht der größte Unterschied zwischen den Christadelphian und den meisten bekannten christlichen Bekenntnissen ist die Ablehnung der Dreifaltigkeit Gottes. Aber von außen gesehen sind sie eine relativ strenge christlich-evangelikale Gruppe mit den üblichen Ansichten – Kreationismus inklusive.

Die Christadelphian haben keine hauptamtlichen Geistlichen. Sie bilden kleine basisdemokratische Gemeinden, in denen die aktiven männlichen Mitglieder Vorträge halten und den Gottesdienst leiten. Rob Hyndman war ein solches aktives Mitglied. Er hielt Vorträge, hatte einen aktiven, seither eingestellten Blog mit seinen Glaubensansichten, und schrieb sogar Bücher wie The way of life und andere einführende Texte.

Im Kontakt mit einem Aussteiger (Kapitel 1) bekam er von seinem Gegenüber die Aussage:

So my question is — it seems like for every point you’ve addressed, the hypothesis that

“Like all other religions, Christianity is a man-made invention”

has as much or more explanatory power than the alternatives.

Dies ist für einen Wissenschaftler eine klare und verständliche Aussage: Es gibt verschiedene Hypothesen, die bestimmte Ergebnisse besser oder schlechter erklären. Hyndman setzte sich also hin, um auf dieser Ebene zu diskutieren. Er wollte seine Standard-Liste von Gründen für den Glauben (Prophezeiung, Auferstehung, Schöpfung, Archäologie, Konsistenz der biblischen Überlieferung und die Reinheits-Gesetze im alten Testament) durcharbeiten, musste aber feststellen, dass er in dieser Diskussion mit ihnen nicht weit kommt. Er strich nach und nach die Punkte von seiner Liste, weil er schon für sich selbst nicht in der Lage war, diese ohne Widersprüche und logische Fehler zu formulieren. Als er bei den letzten beiden Punkten, Prophezeiungen und der Auferstehung ankam, merkte er, dass er nichts Stichhaltiges mehr schreiben kann und eigentlich nur mehr sich selbst zu überzeugen versucht. Kurze Zeit später verlor er den Glauben.

Professor Hyndman suchte die Diskussion selbst. Letztendlich bekam er eine Herausforderung, die mehr seiner wissenschaftlichen Arbeit als der Echokammer in seiner Gemeinde ähnelte: Er war damit konfrontiert, nicht nur richtig erscheinende, unwidersprochene Erklärungen äußern zu müssen, sondern auch selbst ihre Richtigkeit zu prüfen. Er wurde herausgefordert, nicht nur Argumente für eine feststehende Meinung zu finden, sondern auch alternative Erklärungen zu prüfen. Einmal wirklich intellektuell redlich über die Grundlagen seines Glaubens nachzudenken und sie mit den Augen eines Außenstehenden zu sehen. Und das führte bei ihm in kurzer Zeit dazu, dass er den Glauben verlor.

Kapitel 2 gibt den Blog-Post wieder, mit dem er sich 2013 aus der Gemeinde verabschiedete. Der Autor erklärt, dass ein Großteil seines Freundeskreises in der Christadelphian-Gemeinde war, er viel Positives in dieser Gemeinschaft erlebt hat und sie vermissen wird. Interessant ist seine Erklärung, warum er sich nicht als Atheist bezeichnen will.

In den Kapiteln 3 und 4 beschäftigt er sich mit seiner Sicht von faith (ungefähr: Glauben) und erklärt den auch in der Statistik sehr bekannten Bestätigungsfehler, der Menschen dazu bringt, nur Evidenz zu suchen, die ihre bestehenden Ansichten bestätigt.

Die Kapitel 5 bis 15, der Schwerpunkt des Buches, setzen sich mit einzelnen Themen auseinander, die Prof. Hyndman selbst als christlicher Vortragender als wichtige Punkte des christlichen Glaubens und als Gründe für ihn, diesen Glauben zu haben, ansah. Dabei zitiert er Studien und seine Erklärungen, die die einzelnen Punkte widerlegen.

Besonders interessant ist Kapitel 8, in dem der Experte für Vorhersagen die Vorhersagen der Bibel analysiert. Diese werden von Christen häufig als Bestätigung für die göttliche Inspiration der Bibel genannt, Prof. Hyndman tat das in seinem früheren christlichen Leben auch. Er zeigt, warum sie nicht ausreichend präzise sind, um sie auf spätere Ereignisse anzuwenden, und was diese Prophezeiungen von echten Vorhersagen unterscheidet.

Weitere Themen sind die unterschiedlichen Erzählungen über die Auferstehung und ihre nicht auflösbaren Widersprüche, Kreationismus und Evolution sowie biblische Archäologie. Hier beschreibt der Autor wieder, wie er früher nur Ergebnisse akzeptiert hat, die die Erzählung bestätigten – aber die Hypothese der fehlerfreien Bibel wird durch Erkenntnisse, die ihr widersprechen, widerlegt, egal wie viele – erwartbare – Übereinstimmungen man findet.

Diese bibelbezogenen Teile sind nicht zu lang, gehen nicht sehr ins Detail, und es gibt Regalmeter an Literatur zu den einzelnen Themen, aber wenn man die nicht lesen will, findet man hier einen guten Überblick.

Kapitel 15 mit dem Titel I am not an axe-murderer beschäftigt sich schließlich mit dem Mythos, dass nur die richtige Variante der christlichen Religion richtige Handlungsanweisungen für ein ethisches Leben gäbe. Hyndman erklärt, dass seine Vorstellungen über Moral sich seit dem Ausstieg nur in wenigen Punkten geändert hätten: Bei der Beurteilung von Homosexualität und von vor- oder außerehelichen sexuellen Beziehungen, die er jetzt allesamt nicht mehr ablehnt. Er weist auf die schon vor den Jesus-Mythen z. B. in der griechischen Philosophie entwickelten Grundsätze hin und stellt sie ungeheuerlichen, heute nirgends befolgten moralischen Regeln aus der Bibel entgegen.

Den Abschluss des Buches bilden Kapitel mit Botschaften von Menschen, die Professor Hyndman nach seinem Ausstieg aus der Christadelphian-Gruppe erreichten. Von den üblichen Höllendrohungen über Traurigkeit und Ankündigung von Gebeten bis hin zur Standard-Annahme, dass nicht die rationale Analyse der Argumente, sondern ein trauriges Ereignis zum Ausstieg geführt haben muss, ist alles dabei. Der Autor nimmt zu vielen Punkten Stellung – auch zu solchen, in denen ihm arrogant erklärt wird, was er alles machen soll, um wieder zum richtigen Glauben zurückzufinden.

Aber auch andere AussteigerInnen melden sich zu Wort und bieten Prof. Hyndman ihre Unterstützung an. Mit diesen positiven Botschaften endet das Buch.

Professor Rob J. Hyndmans Unbelievable ist eine wertvolle Ressource mit direkt verlinkbaren Kapiteln für Diskussionen über einzelne Punkte des christlichen Glaubens. Sie ist nicht dafür gedacht, existierende Christen vom Glauben abzubringen, dokumentiert aber die Gründe, warum dieser Wissenschaftler den Glauben nicht mehr mit seinem Wissen vereinbaren konnte, wie sein Vorhaben, die Grundlagen zu beweisen, ihn von diesen wegbrachte. Das Buch kann also helfen, Menschen, die mit Zweifeln an ihrem Glauben kämpfen, zu zeigen, wie sie ihre Glaubensinhalte überprüfen und die falschen von den richtigen unterscheiden.

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