Ist die absolute römisch-katholische Bevölkerungsmehrheit zu Ende?

Nach der Veröffentlichung der Daten der römisch-katholischen Kirche für 2023 habe ich darauf hingewiesen, dass die bisherige absolute Bevölkerungsmehrheit (über 50 % der Bevölkerung) vorbei ist. Hier beschreibe ich, warum das eine statistisch gut abgesicherte Aussage ist und wie Interessierte die Aussage mit öffentlich zugänglichen Daten und Methoden überprüfen können.

Für die quartalsweise Vorhersage der Verteilung der Konfessionen und Konfessionsfreien in Österreich muss ich für die römisch-katholische und die evangelischen Kirchen jeweils eine Hochrechnung der aktuellen Zahl für die vergangenen Quartale machen. Hierfür ziehe ich jeweils die letzten drei Jahre in den verfügbaren Daten heran. Die katholische Kirche publiziert ihre Vorjahreszahlen ja erst im Herbst, deswegen ist es notwendig, bis zu sieben Quartale so hochzurechnen – die Alternative wäre, mit veralteten Daten zu arbeiten.

Die Zahlen aus den letzten Jahren gewichte ich so, dass jeweils das letzte Jahr das höchste Gewicht hat, das Jahr davor weniger, und das drittletzte Jahr noch weniger. Die Formel ist: (3 * Vorjahr + 2 * Vorvorjahr + Vorvorvorjahr) / 6.

Die Gewichtung ist bei solchen jährlichen Verläufen eine anerkannte Methode. Die Alternative zu dieser linearen Gewichtung wäre die exponentielle Gewichtung, bei der die früheren Jahre noch weniger Gewicht bekämen. Kann man auch machen, vielleicht verbessert es sogar die Vorhersagen, aber es gäbe mehr Menschen, die die Berechnung nicht mehr nachvollziehen können oder wollen.

Die Hochrechnung nach dem Einsetzen der 2023-Daten ergibt für 2024 einen Rückgang der Mitglieder der r-k. Kirche um 89.835. (2022: 94.389, 2023: 91.421)

Das folgende Diagramm zeigt, warum es sinnvoll und legitim ist, mit den Daten der letzten drei Jahre zu arbeiten und nicht etwa mit den letzten zwanzig.

Diagramm: Jährlicher Rückgang der römisch-katholischen
Kirche

Die dicke schwarze Linie stellt den Rückgang der Mitglieder dar, die dünne blaue Linie zeigt einen geglätteten Verlauf und das graue Band die statistische Streuung. Wir sehen das atypische Jahr 2010 mit der einsamen Spitze, die aus dem grauen Band ragt. Das war das Jahr, in dem die katholische Kirche ihre jahrelange Vertuschung und die enorme Anzahl von Missbrauchsfällen nicht mehr leugnen konnte. Nach diesem Skandal kam es zu einer Rekordzahl von Austritten, die erst 2022 wieder übertroffen wurden. Nach 2010 war der Mitgliederverlust für eine Weile auf einem höheren Niveau recht konstant, aber um 2018 herum begann er stark zu wachsen. Was immer die Ursachen dafür sind (es gibt gute Vermutungen), der Trend besteht schon mehrere Jahre. Bei diesem Verlauf sind die Daten von vor acht oder zwölf Jahren einfach nicht relevant für die Zukunft.

Ist der Anteil sicher unter 50 Prozent?

Das Problem mit der Hochrechnung ist, dass sie nur eine einzelne Zahl ergibt, die ziemlich sicher nicht exakt korrekt ist. Sie ist in der Größenordnung natürlich schon zutreffend, weicht aber von der tatsächlichen Zahl, die man leider erst in der Zukunft erfährt, ab. In den letzten Jahren war diese Abweichung meistens in der Größenordnung von einigen tausend, und zwar immer niedriger als der reale Wert. Das ist bei einem so steilen Anstieg der Zahlen genauso zu erwarten – die Prognose ist ja aus dem Mittelwert alter Daten gebaut.

Wir können also den Wert aus der Hochrechnung nehmen, mit dem Bevölkerungsverlauf abgleichen und den Monat aussuchen, in dem laut Hochrechnung die Mehrheit gefallen ist. Das ist der Juli 2024. Wir wissen nur nicht, wie sicher wir uns dabei sein können. Der Trend könnte sich ja abgeschwächt oder verstärkt haben, dann wäre es vielleicht schon im Juni oder erst im August soweit gewesen. Außerdem posaunt die säkulare Szene Österreichs gerade durch alle Kanäle hinaus, dass die katholische Bevölkerungsmehrheit vorbei ist. Wie können wir uns sicher sein, dass das stimmt?

Dafür gibt es statistische Methoden. Wir können uns ein Modell bauen, das die Wahrscheinlichkeit, dass der Anteil der Katholiken in einem bestimmten Monat unter 50 % gefallen ist, berechnet. Damit können wir einerseits die Annahme prüfen, dass es der Juli 2024 war, andererseits sagen, wie sicher wir uns gerade (Ende September) sind.

Die Umsetzung in der Statistik-Umgebung R ist am Ende dieses Artikels angehängt, wer möchte, kann jeden Schritt überprüfen und Varianten berechnen. Dieses Verfahren nutzt eine Log-Normalverteilung, sie hat sich als zuverlässig für diese Art von Daten erwiesen.

Das Programm baut aus einer wählbaren Anzahl von Jahren eine Verteilung. Mit Hilfe dieser Verteilung gibt es die Wahrscheinlichkeit für jeden Monat, dass es bis zu diesem Monat mindestens so viele Abgänge gab, wie für die Unterschreitung der Bevölkerungshälfte notwendig sind. Im Jänner ist das zum Beispiel noch extrem unwahrscheinlich, dafür müsste es allein in diesem Monat über 57.000 Abgänge geben – das entspräche fast 700.000 Abgängen im ganzen Jahr. Es ist klar, dass das extrem unwahrscheinlich ist. Bis Dezember müsste die Summe der Abgänge des ganzen Jahres wiederum nur mehr 38.524 betragen, das ist ein Wert, der zuletzt 2008 unterschritten wurde. Das ist auch wieder klar: Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass es bis dahin mehr Abgänge gibt, ist sehr hoch.

Folgendes Diagramm zeigt eine Wahrscheinlichkeitsverteilung, wie sie aus den Daten der katholischen Abgänge gebaut wurde:

Diagramm: Wahrscheinlichkeitsverteilung für Abgänge aus der katholischen
Kirche im Jahr 2024

Es ist klar zu sehen, dass Werte unter 80.000 und über 100.000 zwar möglich, aber unwahrscheinlich sind.

Wenn wir das Programm mit drei Jahren und der üblichen Gewichtung (3*, 2*, 1*) laufen lassen, gibt es diese Daten aus:

Berücksichtige 3 Jahre, Monat: 5, notwendiger Rückgang: 121778, Wahrscheinlichkeit: 0.0022 %

Berücksichtige 3 Jahre, Monat: 6, notwendiger Rückgang: 97992, Wahrscheinlichkeit: 12 %

Berücksichtige 3 Jahre, Monat: 7, notwendiger Rückgang: 81000, Wahrscheinlichkeit: 91 %

Berücksichtige 3 Jahre, Monat: 8, notwendiger Rückgang: 68258, Wahrscheinlichkeit: 100 %

Berücksichtige 3 Jahre, Monat: 9, notwendiger Rückgang: 58347, Wahrscheinlichkeit: 100 %

Wir sehen also, im Juli ist die Bevölkerungsmehrheit mit hoher Wahrscheinlichkeit unterschritten worden, und seit August ist die Sicherheit, dass es wirklich passiert ist, sehr hoch (auf 100 % gerundet).

Was ist, wenn wir die Gewichtung herausnehmen?

Berücksichtige 3 Jahre, Monat: 6, notwendiger Rückgang: 97992, Wahrscheinlichkeit: 10 %

Berücksichtige 3 Jahre, Monat: 7, notwendiger Rückgang: 81000, Wahrscheinlichkeit: 77 %

Berücksichtige 3 Jahre, Monat: 8, notwendiger Rückgang: 68258, Wahrscheinlichkeit: 99 %

Berücksichtige 3 Jahre, Monat: 9, notwendiger Rückgang: 58347, Wahrscheinlichkeit: 100 %

Hier zieht das drittletzte Jahr mit dem niedrigeren Wert die Prognose stärker herunter. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Bevölkerungsmehrheit im Juli gefallen ist, ist gesunken, aber immer noch deutlich über 50 %. Im September ist auch hier die große Sicherheit erreicht.

Fünf Jahre mit Gewichtung:

Berücksichtige 5 Jahre, Monat: 7, notwendiger Rückgang: 81000, Wahrscheinlichkeit: 67 %

Berücksichtige 5 Jahre, Monat: 8, notwendiger Rückgang: 68258, Wahrscheinlichkeit: 98 %

Berücksichtige 5 Jahre, Monat: 9, notwendiger Rückgang: 58347, Wahrscheinlichkeit: 100 %

Fünf Jahre ohne Gewichtung:

Berücksichtige 5 Jahre, Monat: 7, notwendiger Rückgang: 81000, Wahrscheinlichkeit: 49 %

Berücksichtige 5 Jahre, Monat: 8, notwendiger Rückgang: 68258, Wahrscheinlichkeit: 91 %

Berücksichtige 5 Jahre, Monat: 9, notwendiger Rückgang: 58347, Wahrscheinlichkeit: 100 %

Es gibt wie erklärt gute Gründe, nicht mehr als drei oder fünf Jahre ins Modell einzubringen. Aber es ist möglich.

Zehn Jahre mit Gewichtung:

Berücksichtige 10 Jahre, Monat: 7, notwendiger Rückgang: 81000, Wahrscheinlichkeit: 32 %

Berücksichtige 10 Jahre, Monat: 8, notwendiger Rückgang: 68258, Wahrscheinlichkeit: 64 %

Berücksichtige 10 Jahre, Monat: 9, notwendiger Rückgang: 58347, Wahrscheinlichkeit: 87 %

Mit den Daten der letzten zehn Jahre oder mit ungewichteten fünf Jahren entstehen Szenarien, in denen die Mehrheit erst im August gefallen ist. Hier wäre im September die Wahrscheinlichkeit mit 87 % bzw. 91 % auch schon recht hoch, wir könnten uns also auch schon hinreichend sicher sein. Und das sind Zeiträume, die wir nicht mehr für eine seriöse Prognose heranziehen würden.

Selbst bei 10 und 15 Jahren ungewichtet ist noch die Wahrscheinlichkeit, dass es im September soweit war, über 50 %. Wir müssen tatsächlich 20 Jahre zurückgehen, damit die Verteilung aus den ungewichteten Zahlen den Übergang erst im Oktober ergibt. Die Gewichtung zieht den Zeitpunkt auch hier wieder in den September zurück. Das Programm ist also grundsätzlich in der Lage, spätere Zeitpunkte vorherzusagen, wenn es auf älteren Daten läuft.

Gehen wir einmal in die andere Richtung und setzen nach Betrachtung der Steigerungsrate im Diagramm für 2024 eine hohe Schätzung (95.000) ins Drei-Jahres-Modell ein:

Berücksichtige 3 Jahre, Monat: 6, notwendiger Rückgang: 97992, Wahrscheinlichkeit: 13 %

Berücksichtige 3 Jahre, Monat: 7, notwendiger Rückgang: 81000, Wahrscheinlichkeit: 93 %

Berücksichtige 3 Jahre, Monat: 8, notwendiger Rückgang: 68258, Wahrscheinlichkeit: 100 %

Berücksichtige 3 Jahre, Monat: 9, notwendiger Rückgang: 58347, Wahrscheinlichkeit: 100 %

Es lohnt sich immer, verschiedene Szenarien auszuprobieren, auch mehr oder weniger optimistische. Es geht ja um die Zukunft und um die nahe Vergangenheit, aus der wir auch noch keine Daten haben. Mit dieser Methode können wir leicht verschiedene Szenarien ausprobieren, was uns die Sicherheit gibt, dass unsere Position gut begründet ist. Wer widersprechen will, muss erklären, wie ein Szenario aussehen müsste, in dem die Aussage nicht wahr ist.

Fazit

Die Aussage, dass die katholische (absolute) Bevölkerungsmehrheit in Österreich nicht mehr besteht, wurde mit den verfügbaren Daten überprüft. Jede sinnvolle Art, die Daten für die Hochrechnung heranzuziehen, ergibt, dass die Mehrheit mit hoher Wahrscheinlichkeit im Juli gefallen ist und wir im September mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen können, dass die Aussage wahr ist.

Die aktuelle Hochrechnung für den römisch-katholischen Bevölkerungsanteil per Ende September 2024 ist 49,8 %. Die Konfessionsfreien sind 32 % der Bevölkerung.

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