Was steht in den 10 Geboten, und was hat das mit Ethik zu tun?

Kardinal Schönborn hat sich in der Zeitung Heute zu Wort gemeldet, um uns mitzuteilen, wie gut die Kirche es findet, dass der Ethikunterricht, der nach ihren Vorgaben eingeführt wurde, jetzt für alle, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, Pflichtfach ist.

Dabei schafft er es, schon im ersten Absatz Ethik falsch zu beschreiben, mit Gesetzen zu verwechseln und dann auch noch die zehn Gebote falsch zu zitieren.

Ethik ist das methodische Nachdenken über Moral. Sie ist also der Weg, nicht das Ziel. Um zu entscheiden, was richtig und was falsch ist, was wir tun oder nicht tun sollen, haben menschliche Gesellschaften verschiedene Werkzeuge entwickelt. Diese beinhalten auch Gesetze, also Vorgaben, die aus einem ethischen Nachdenken, einem existierenden Moral-System, aber auch aus anderen Quellen abgeleitet sein können. Im Gegensatz zu moralischen Vorgaben (du solltest) sind Gesetze bindend (du musst/darfst nicht). Heute unterscheiden wir sehr genau zwischen Dingen, die manche Leute für unmoralisch halten, aber tun, und Gesetzen, deren Nichteinhaltung eine Strafe nach sich zieht.

Als jemand, der Theologie und Philosophie studiert hat, sollte Kardinal Christoph Schönborn das eigentlich wissen. Aber als katholischer Geistlicher muss man öffentliche Äußerungen nicht unbedingt mit Wissen und Tatsachen in Einklang bringen.

Seine Argumentationslinie geht so: Ethik und Religion befassen sich mit dem, was man tun soll und was nicht (soweit ungefähr richtig). Einer der ältesten ethischen Texte sind die Zehn Gebote in der Bibel (falsch). Die Gebote beinhalten: Du sollst nicht morden, die Ehe brechen, stehlen, lügen! (Nochmal falsch.)

Wer den Kontext nicht kennt, könnte die übliche deutsche Übersetzung Du sollst nicht für eine unverbindliche Empfehlung halten. Tatsächlich – wie der Name Gebote es schon ausdrückt – sind das zwingende Aufforderungen und bindende Verbote, also Gesetze, die man laut judeochristlicher Mythologie unbedingt einhalten muss. (Mit dem Zusatzwissen, dass alles, was im Neuen Testament dem widerspricht, für Christen doch wieder anders ist.) Die Gebote sind eben kein ethischer Text, sondern eine Gesetzessammlung, auf der Basis von religiös vorgegebener, vor ca. 2.500 Jahren örtlich eingeschränkt geltender Moral. Andere Zivilisationen hatten solche Texte schon Jahrtausende früher.

Was steht genau in den zehn Geboten drinnen? Schönborn zitiert zuerst vier Verbote, die irgendwie sinnvoll klingen. Er schafft es immerhin, drei korrekt zu nennen. Du sollst nicht lügen ist jedoch keines der Gebote. Es gibt nur ein ähnliches: Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen. Dies ist wesentlich spezifischer und deckt nur sehr wenige Situationen ab – ein allgemeines Verbot der Lüge ist es nicht.

Ein Kardinal sollte die zentralen Leitsätze seiner Religion richtig zitieren können, würde man meinen.

Dann nennt Schönborn noch zwei Gebote, die für ihn irgendwie nett klingen: Ehre deine Eltern, glaub an Gott. Ersteres ist in vielen Fällen sinnvoll, ist aber weder Ethik noch Gesetz; das mit dem Glauben an Gott ist heute in keinem demokratischen Land eine Vorgabe – und wird (hoffentlich) auch im Ethikunterricht nicht unterrichtet.

Er verzichtet wohlweislich darauf, das Bilderverbot am Anfang der Gebote zu nennen – das wäre für einen Kardinal, der ständig in Gebäuden ein und aus geht, die mit bildlichen Darstellungen eines der christlichen Götter verziert sind, auch ziemlich absurd.

Es ist ein wiederkehrendes Muster, dass Geistliche sich auf etwas beziehen, was in der Folklore positiv besetzt ist (die zehn Gebote), selektiv und falsch daraus zitieren, und damit dann etwas anderes oberflächlich verknüpfen. Würden sie vollständig und richtig zitieren, würde das die Aussage schon beschädigen. Damit geben sie ein falschen Zeugnis und merken es nicht einmal. So eine Selbstreflexion kommt nicht aus der Religion, sondern aus einer richtig verstandenen Ethik.

Wie wir sehen, hängen die ungefähr zehn judeochristlichen Gebote mit Ethik und insbesondere dem Ethikunterricht kaum zusammen. (Sie können im Unterricht vielleicht als Beispiel einer überholten Regelsammlung dienen.)

Nach diesem wirren ersten Absatz fährt Schönborn fort:

Im Religionsunterricht geht es um ethische Grundregeln. Aber nicht alle nehmen am Religionsunterricht teil. Man kann sich davon abmelden.

Hat er sich schon einmal gefragt, warum man sich vom Religionsunterricht abmelden kann, wenn es dort um so wichtige Dinge geht? (Und nicht etwa von Sprachen und Mathematik?) Hängt es damit zusammen, dass eben keine Ethik (Nachdenken über das, was man tun soll oder nicht), sondern fertige religiöse Moral unterrichtet wird, zusammen mit Dingen, die nur dann stimmen, wenn man schon an sie glaubt (und vieles nicht mal dann)? Und der Grund, sich abzumelden, genau dieser unseriöse religiöse Überbau, der im Unterricht einer öffentlichen Schule keinen Platz haben sollte, ist?

Wir müssen Wege für ein gutes Miteinander finden. Dazu brauchen wir eine solide ethische Basis. Einüben können wir das am besten schon in der Schule. Das geht nur gemeinsam.

Das ist richtig. Deswegen sind die HumanistInnen immer für einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle eingetreten. Wer hat sie abgelehnt? Die Kirche. Sie fürchtet tatsächlich das methodische Nachdenken über die Grundlagen der Regeln fürs Miteinander, weil ihre Vorgaben einer solchen Überprüfung nicht standhalten. Und auch dieses Jahr werden Klassen willkürlich (de facto nach der Religion der Eltern, die sie ihren Kindern vorgeben) in Gruppen aufgeteilt, was den Kindern zeigt, dass es eben unterschiedliche Zugänge zur Ethik gibt, und keine gemeinsame Basis.

Die jahrelange Verhinderung des Ethikunterrichts und die Eingrenzung als Schulversuch haben dazu geführt, dass bei dieser Einführung auf Raten viele LehrerInnen, die die Ethik-Zusatzausbildung haben, in erster Linie Religion unterrichten. Warum das nicht vereinbar ist, hat Alois Schöpf beim Humanistischen Verband sehr lesenswert ausgeführt.

Wie sieht also der Schulbeginn dieses Jahr aus? Die Seite zur Abmeldung vom Religonsunterricht bei den Atheisten Österreichs wird tausendfach gelesen. Religionslehrer melden sich auf Facebook und versuchen mit leeren Drohungen, die Information über die Ummeldung zu Ethik zu unterbinden. Die Kirche informiert auf allen ihren Kanälen über die vermeintlichen Vorteile des Religionsunterrichts.

Und im Endeffekt entscheiden sich viele SchülerInnen für den Ethikunterricht und gegen Religion. Dabei werden viele von ihnen zusätzliche Mühen auf sich nehmen müssen: Wenn an einer Schule keine 10 SchülerInnen Ethik besuchen, müssen sie für dieses Pflichtfach in andere Schulen ausweichen, die am Land auch schon mal eine Stunde oder mehr Fahrzeit entfernt sein können. Diesen jungen Menschen gebührt eine Menge Anerkennung dafür, dass sie sich trotzdem dafür entscheiden, richtige, unbeeinflusste, fürs gesellschaftliche Miteinander wichtige Ethik zu lernen statt der religiösen Variante von ein bisschen Ethik auf frei erfundener Basis.

In den westlichen Bundesländen beginnt jetzt die Schule. In der ersten Schulwoche ist noch die Anmeldung für den Ethikunterricht durch Abmeldung von Religion möglich. (SchülerInnen ohne Bekenntnis sind automatisch für Ethik gemeldet.) Wie viele sich insgesamt gegen Religion und für Ethik entschieden haben, werden wir bald erfahren.

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