Wer bringt das Licht?
Was kommt raus, wenn ein Weihbischof ein Buch über die Probleme der Kirche und
der Zeit schreibt? Selbstverschuldete, weinerliche Verwirrung.
Die Kultur des gesunden Menschenverstandes
wird Anthropozentrismus
entgegengesetzt, nur um das eine zu loben und das andere abzukanzeln.
Aufklärung ist Finsternis und der atheistische Materialismus
erhebt die Freizeit zum Gott
.
Die deutsche katholische Kampfpostille Die Tagespost beglückt uns mit dieser Buchvorstellung. Weihbischof Athanasius Schneider, in Kasachstan tätig, teilt seine Meinung der Welt mit. Fairnesshalber muss angemerkt werden, dass ein Gespräch aus einer französischen Zeitung wiedergegeben wird, also könnte ein Teil des Unsinns auch von der Tagespost-Redaktion stammen.
Aufklärung in die Finsternis
Das erste große Problem des Bischofs ist, dass seit der Renaissance (also schon über 600 Jahre lang) eine von ihm identifizierte Finsternis entstehe, indem der Mensch immer mehr in den Mittelpunkt gestellt – und Gott aus der Gesellschaft entfernt werde. Wie viele seiner LeserInnen wohl gerne aus dem 21. Jahrhundert ins 14. wechseln würden, um dieser Finsternis zu entgehen? Und wie mehrheitsfähig ist die Idee, die Aufklärung hätte die Entwicklung zu dieser Finsternis beschleunigt?
Sorry, lieber Weihbischof Athanasius: Das ist kompletter Unsinn. Fast die gesamte
Menschheit lebt heute freier, gesünder, glücklicher und in weniger Unsicherheit
als im ausgehenden finsteren Mittelalter. Der primäre Grund dafür ist genau
das Zurückdrängen der Vertreter erfundener Götter durch den Humanismus: Dass der
Mensch im Mittelpunkt steht (vom Bischof als Anthropozentrismus
bezeichnet).
Diesem Sachverhalt haben wir die Menschenrechte zu verdanken (von denen sogar
katholische Theologen schreiben,
sie seien gegen die katholische Kirche durchgesetzt worden); die Bezeichnung
Menschenwürde, die jedem Menschen zusteht, und andere Grundrechte. Auch wenn
die katholische Kirche langsam beginnt, sich diese Dinge an die Fahnen zu
heften: Sie hat sie weder erfunden noch gefördert. Es ist vielmehr wie bei
anderen positiven Dingen, sei es Umweltschutz oder Gleichberechtigung: Die
Kirche versucht entweder, zu spät auf den fahrenden Zug aufzuspringen, oder sich
vor ihn zu werfen.
Zunächst habe man Gott aus der Privatsphäre verbannt, „bevor man nach und nach den Menschen die Sehnsucht nach Gott selbst“ aus dem Herzen gerissen habe.
Falsch. Die aufgeklärte säkulare Idee ist, Gott
(als Konzept
stellvertretend für erfundene, unbewiesene Behauptungen) aus der Gesellschaft,
der Politik und dem Rechtssystem in die Privatsphäre zu befördern. Wer diesen
Grundsatz der Säkularisierung nicht verstanden hat, sollte nicht darüber
schreiben.
Die Sehnsucht nach Gott
ist etwas, was den meisten Menschen im
Kindesalter indoktriniert wurde. Menschen, die ohne religiöse Erziehung
aufgewachsen sind, und solchen, die sich mit Hilfe ihrer Vernunft davon gelöst
haben, ist dieses Gefühl fremd.
Abgesehen davon: Wer die Sehnsucht verspürt, kann heute in den demokratischen
Gesellschaften jeder Religion nachgehen, was den Herrn Bischof aber auch wieder
stört: Er bezeichnet die Ansicht, alle Glaubensüberzeugungen seien
gleichwertig
, als Teil der Finsternis. Mit anderen Worten: Bitte Sehnsucht
nach Gott für alle, aber nur nach der katholischen Vorstellung. Da ist jemand
noch nicht ganz im 21. Jahrhundert angekommen.
Atheistischer Materialismus und seine GöttInnen
Der atheistische Materialismus, die unmittelbare Konsequenz des Kommunismus, erhebt Körper, Wohlbefinden und Freizeit zum Gott.
So viel Falsches in einem Satz. Atheistischer Materialismus hat schon im antiken
Griechenland existiert, im Sinne von ich glaube nicht an deine unsichtbaren
GöttInnen, sondern nur das, was ich erfahren kann
. Das ist zweitausend Jahre
älter als der Kommunismus, kann also keine Konsequenz davon sein.
Und Atheismus hat noch nie etwas zum Gott erhoben. (Formulierung eines Menschen in geistiger Zwangsjacke, der sich Prioritäten im Leben anderer Menschen nur in einer Form vorstellen kann.) Im Gegenteil: Wenn es keinen Gott und kein fiktives Leben nach dem Tod gibt, weiß man – materialistisch –, dass es nur dieses eine Leben in diesem einen Körper gibt. Auf Gesundheit und sinnvolle Freizeitgestaltung zu achten ist in diesem Kontext die logische Konsequenz aus dem gesunden Menschenverstand.
Mehrmals erwähnt der gute Weihbischof die zehn Gebote,
als ob sie seine Aussage irgendwie unterstützen würden. Das tun sie jedoch
nicht. Das erste Gebot
(du sollst keine GöttInnen neben, über oder vor
mir haben) ist ein Verstoß gegen die Religionsfreiheit und somit gegen die
Verfassung; das sechste (Verbot des Ehebruchs) hat mit den Dingen, die er
anprangert – Scheidung, sexuelle Selbstbestimmung, Liebe zum eigenen
Geschlecht – sehr wenig zu tun.
Menschenverstand – gut oder schlecht?
Doch die logische Akrobatik beginnt erst jetzt so richtig. Plötzlich wird das
Licht des gesunden Menschenverstandes
, ein paar Absätze vorher noch als
Anthropozentrismus verteufelt, mit den erstrebenswerten Geboten Gottes
gleichgesetzt. Ein Bischof mit theologischer Ausbildung weiß natürlich, dass die
Bedeutung von Wörtern auch mitten im Text umdefiniert werden kann. Nur so ist
erklärbar, dass er Natur, Denken und Logik in einem Satz mit den toxischen und
vor 2.500 - 3.000 Jahren entstandenen Geboten
erwähnt. Gesunder
Menschenverstand ist das nicht. Der gesunde Menschenverstand hat vielmehr dazu
geführt, dass wir diese Gebote
großteils als irrelevant betrachten können.
Parallelen zur kommunistischen Unterdrückung
Der Artikel schließt mit einem christlichen Lieblingsthema: Christenverfolgung.
Die heute im Westen allgemeine Freiheit von Menschen, ihre Liebe und Sexualität
frei auszuleben und darüber öffentlich zu sprechen, was der Bischof als
LGBT-Ereignisse
bezeichnet, hätte für jene, die sich dagegen aussprechen,
Gefängnischarakter
. Das sei eine Parallele zum Kommunismus – nur
sei man damals dafür ins Gefängnis gewandert und heute werde man kritisiert oder
vielleicht sogar gemieden, wenn man diese Meinungen äußert. Genau das selbe
also. (Worüber die Öffentlichkeit in einem Buch und in Zeitungsartikeln
informiert wird, exakt wie im Kommunismus.)
Der letzte Satz bringt die Verwirrung nochmal sehr gut auf den Punkt:
Die Menschen, die „aufrichtig nach der Wahrheit suchen, erwarten dieses Zeugnis von uns Katholiken“.
Nö. Menschen, die aufrichtig nach der Wahrheit (also Sachverhalten, deren Wahr-Sein belegt werden kann) suchen, erwarten gar nichts von den Katholiken. Deren kaputtes Verhältnis zur Wahrheit ist in fast 2.000 Jahren hinreichend evident geworden; ihr Beitrag zur Erkenntis ist kleiner als der Beitrag gegen selbige.
Wenn Vertreter der katholischen Kirche erkennbare Versuche machten, um die Realität genau zu beschreiben, würden wir vielleicht langsam beginnen, ihnen zu glauben, dass sie an der Wahrheit interessiert sind. Solange sie solche Äußerungen machen, die sich von einem Absatz zum anderen selbst widersprechen, oder von krassem Unverständnis der menschlichen Gesellschaft zeugen, ist die Absicht (oder die Fähigkeit?) nicht erkennbar.