Briefe von den Zeugen

Allem Anschein nach haben die Zeugen Jehovas, früher berüchtigt für ihre unangekündigten Hausbesuche, in der Pandemie ihre Strategie gewechselt. Statt überall anzuläuten schicken sie jetzt handgeschriebene, persönliche Briefe. Ich habe schon voriges Jahr einen solchen bekommen, heute kam der zweite, von einer anderen Absenderin.

Mein Name ist für Leute mit Ungarischkenntnissen sehr eindeutig einordenbar, anscheinend bin ich deswegen für solche Leute in Österreich interessant. Die heutige Briefeschreiberin weist darauf hin, dass sie mich in der öffentlich zugänglichen Unternehmensliste der Wirtschaftskammer gefunden hat. Das ist ein gewisser Aufwand – aber deutlich weniger als das Vollschreiben einer A4-Seite mit der Hand, Beschriften des Kuverts mit voller Unternehmensbezeichnung, und das Frankieren des Briefes.

Handgeschriebene Briefe erzeugen Aufmerksamkeit, sie sind in unserer Zeit etwas Besonderes. In diesem Fall war aber der Inhalt noch interessanter. Die Absenderin schreibt in gutem Ungarisch, aber mit einigen Fehlern. Sie möchte ein paar positive Gedanken mit mir teilen, und erwähnt gleich, dass sie eine Zeugin Jehovas ist. Der Duden erklärt Zeuge folgendermaßen:

Person, die bei einem Ereignis, Vorfall o. Ä. zugegen ist oder war, darüber aus eigener Anschauung oder Erfahrung etwas sagen kann

Das ist interessant – wenn der Name stimmt, kann die Dame also aus eigener Erfahrung etwas über Jehova sagen. Das weckt natürlich mein Interesse.

Sie stellt nach der Vorstellung die Frage, ob wir Gründe haben, darauf zu vertrauen, dass die Zukunft besser wird?. Ja, beantwortet sie ihre eigene Frage: Es steht ja in der Bibel! Als Zitat schreibt sie Jesaja 2:4 aus dem alten Testament ab, eine Prophezeiung (im weitesten Sinne), wie das Ende der Tage aussehen wird. Endlich keine Kriege mehr! Wie lange beten eigentlich Christen schon mit Dein Reich komme täglich genau dafür? Und verspricht Jesus nicht, dass seine Wiederkunft ähnlich schlimm sein wird wie die Sintflut (als laut Mythos die gesamte Menschheit bis auf eine Familie grausam vernichtet wurde)?

Nun, das ist das, was die freundliche Zeugin herbeisehnt. Das ist ihr zufolge kein schöner Traum, nein, das ist ein Versprechen von Gott! Weil die Bibel in vielen Beispielen beweise, dass alles, was Gott über die Zukunft sagt, wahr wird! Hahaha, nein. Wenn sie die erste auf die Zukunft bezogene Aussage Gottes ganz am Anfang ihrer Bibel (du wirst am selben Tag sterben, wenn du vom verbotenen Baum isst) gelesen hätte, würde sie das wissen. Vielleicht sollte sie mit mir die Bibelschule der Konkurrenz machen?

Na wie auch immer, sie bietet mir an, dass ich sie per E-Mail kontaktieren oder auf der Homepage der Zeugen gratis Informationen lesen und Videos schauen kann.

Dem letzten Briefeschreiber habe ich geantwortet, dass ich seinen Hilferuf zwischen den Zeilen verstanden habe, und Ressourcen zum Ausstieg aus seiner misslichen Lage in der gefährlichen Religionsgemeinschaft geschickt, sowie meine Hilfe angeboten. Von ihm habe ich dann nichts mehr gehört.

Diese liebe Frau möchte aber einen Dialog, und diesen kann sie haben. Also schicke ich ihr folgende E-Mail:

Liebe Frau …,
vielen Dank für Ihre Zeilen. Ja, ich glaube an eine bessere Zukunft. Da ich in Ungarn in einer nicht religiösen Familie aufgewachsen bin, weiss ich über diese Dinge nicht so gut Bescheid. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir Schritt für Schritt erklären könnten, was ich für diese bessere Zukunft tun kann. Die Vorhersagen, die sich allesamt bewahrheitet haben, interessieren mich besonders.
Warum heißen Sie eigentlich Zeugen Jehovas? Haben Sie sie/ihn persönlich getroffen?

Fortsetzung folgt ;-)

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