Neues von der Brieffreundin
Meine neue Brieffreundin bei den Zeugen Jehovas
hat mir geschrieben –
wie gehabt einen handgeschriebenen, frankierten Brief. Als Antwort auf meine
E-Mail. Diesmal auf Deutsch, was uns beiden leichter fällt. Sie beantwortet
meine initialen Fragen sehr
selektiv, kann sich aber lang und breit über ihren geliebten Jehova, dessen Name
leider in so vielen modernen Bibelübersetzungen verschwiegen wird (seufz),
ausbreiten.
Sie erklärt, woher der Name Zeugen Jehovas
kommt: Jesaja
43:10 im alten Testament. Was sie
hier übersieht, ist die Tatsache, dass ein Prophet (heute sagen wir Mensch
mit Halluzinationen
, damals wurden sie als Sprachrohre des regional
imaginierten Gottes wahrgenommen) an dieser Stelle zu den Anwesenden spricht,
also jene als Zeugen ansieht. Die heutigen Zeugen
haben das nicht, weil
ihr Gott sich in historischen Zeiten nie blicken hat lassen. Ich werde dies in
meiner Antwort nochmal thematisieren, weil sie diesen Teil der Frage elegant
überlesen hat.
Dann beschreibt sie, dass die ZJ eine weltweite christliche Gemeinschaft
seien, die Zeugnis über Jehova Gott
gäben, und ihren Glauben
ausschließlich auf die Bibel
stützten, durch deren genaues
Studium
sie die großartigen Eigenschaften Gottes kennengelernt
hätten.
Die großartigen Eigenschaften sind: Überragende Weisheit, seine Macht und vor
allem seine Liebe und Geduld mit der Menschheit
. Ich fürchte, die gute Frau
liest eine andere Bibel als ich. Ein Gott, der mitten in den Garten Eden einen
verbotenen Baum pflanzt und dann seine Aufsichtspflicht über seine Kinder
verletzt, die er dann für ihren Wunsch, sich Wissen anzueignen, bestraft; aus
lauter Liebe und Geduld die Menschheit bis auf eine Familie ausrottet; der seine
Macht für billige Showeffekte nutzt, statt die Welt nachhaltig besser zu machen.
Ein liebender und geduldiger Vater, dessen überragende Weisheit darin besteht,
sich selbst einen Sohn, der auch irgendwie er selbst ist, zu opfern, damit alle
errettet werden, oder zumindest die, die in der richtigen Weise an ihn glauben.
Die anderen können bis ans Ende der Tage brennen. Wie gut, dass so ein Gott nur
erfunden ist und nicht wirklich existiert.
Meine Brieffreundin hat sich, ohne es zu wissen, als Kandidatin für die Prüfung
Wie du uns bekehren kannst
gemeldet. Diese wurde ja für genau solche Situationen entwickelt, in die sie
sich ganz freiwillig begeben hat. Ich will sie aber nicht gleich mit der ganzen
Argumentationskette belasten, sie wird ja schon ganz am Anfang scheitern. Sie
soll aber glauben, dass die Aufgabe für sie bewältigbar ist.
Das ist also meine Antwort:
Liebe …,
danke für Ihren Brief. Sie haben leider meine Frage nach dem Wort
Zeugenicht beantwortet. Dieses bedeutet eigentlich eine Person, die bei einem Ereignis anwesend war und aus eigener Erfahrung etwas dazu sagen kann. Ein Vers aus einem alten Buch fällt für mich nicht in diese Kategorie, deswegen die Frage.Sie schreiben immer noch zu abstrakte und komplizierte Dinge, die für jemanden, der nicht aus diesem Umfeld kommt, unverständlich sind. Ich habe als Kind gerne Mythologie gelesen, kenne also GöttInnen wie Zeus, Hera, Aphrodite, Baal und Aschera aus Geschichten. Es würde mir helfen, zwischen Erzählung und Wissen trennen zu können.
(Mal sehen, ob sie checkt, dass die letzten beiden Namen im alten Testament genannt werden, weil die Vorstellung eines einzigen Gottes sich auch im Judentum erst allmählich verbreitete.)
Also bitte Schritt für Schritt erklären, am besten mit Belegen.
Für mich als Interessierten ohne Vorbildung ist eigentlich die erste Frage, ob irgendwelche Phänomene, Ereignisse usw. existieren, die nicht mit unserem Alltagswissen erklärbar sind. Wenn alles, was wir wahrnehmen, physikalisch oder biologisch oder sonst erklärt ist, ist die Vorstellung von einem Gott nur eine zusätzliche Erzählung. Sie erwähnen den
Schöpfer des Universums: Soweit ich weiß, ist unsere Herkunft restlos wissenschaftlich erklärt.
(Darüber könnte man natürlich diskutieren, aber ich möchte ihre Argumente erfahren, deswegen gebe ich mich oberflächlich und naiv.)
Falls es diese Phänomene gibt, wäre es notwendig zu erklären, dass sie zwangsläufig auf einen Gott (und nicht etwa viel weiter entwickelte Außerirdische) zurückzuführen sind.
Ohne jetzt die Bibel genau zu kennen: Warum schreiben Sie, dass Sie sich im Glauben
ausschließlich auf die Bibel stützen? Gibt es sonst keine gute Informationsquellen? Historische, naturwissenschaftliche, …? Was ist an der Bibel besonders, z. B. im Vergleich zu anderen glaubensbegründenden Büchern wie dem Koran oder dem Buch Mormon?Liebe Grüße
Ich bin gespannt, ob sie sich wieder meldet. Sie hat wohl Zeit, und es ist für MissionarInnen so selten, überhaupt eine Antwort zu erhalten, dass sie sich wohl noch lang mit mir beschäftigen wird, wenn sie möchte. Vielleicht lernen wir beide etwas dabei. Vielleicht bin ich in drei Monaten auch ein Zeuge Jehovas ;-)