Die Zeugin bezeugt ihr Zeugnis

Der dritte Brief meiner lieben Brieffreundin von den Zeugen Jehovas hat auf sich warten lassen. Aber, wie ich vermutet habe, traf er schließlich doch ein. Wer in Österreich missioniert, muss jede Chance ergreifen; so viele offene Türen und Leute, die antworten, gibt es nämlich nicht. Und ich antworte natürlich wieder, das muss sie sehr glücklich machen.

Ich habe in meiner letzten E-Mail erwähnt, dass Zeuge eine ganz genaue Bedeutung hat. Zumindest behauptet das der Duden. Aber nicht meine Brieffreundin:

Wie Sie sicher auch selbst wissen, gibt es verschiedene Zeugen, außer Augenzeugen.

Nö, weiß ich nicht. Ihr Bibelzitat 1 Petrus hilft auch nicht (das ist eine Aufforderung, unter Heiden ein rechtschaffenes Leben zu führen).

Als nächstes geht sie auf meine Erwähnung mythischer GöttInnen ein. Und sie schreibt selbst:

Einige Mythen sind frei erfunden, anderen liegen Tatsachen zugrunde.

Es sind also alles Mythen, gut, dass wir das geklärt haben.

Die Zeugin zitiert dann Bücher über Archäologie aus 1956 und 1964, um mich über Baal und Aschera, die natürlich nur von den Kanaanitern verehrt wurden, zu belehren. (Dabei beschreibt sogar die Bibel, dass sie direkt im Tempel verehrt wurden, bis ein König es sich anders überlegt hat.) Nun, heute wissen wir mehr, z. B. dass Aschera von den Israeliten als Ehefrau von Jehova verehrt wurde. Die von meiner Brieffreundin behaupteten Kinderopfer finden sich weder auf der deutschen noch auf der englischen Wikipedia-Seite.

Von diesen GöttInnen wendet sie sich zu dem einen, dem guten Gott, dem so etwas nie in den Sinn gekommen wäre. Jehova hat die Menschen immer zu ihrem Guten bekehrt. Woraus ich zwei Dinge ableite: Die liebe Zeugin liest das alte Testament nicht sehr aufmerksam, und sie hat ein selektives Verständnis von gut.

Aber vor über 3.500 Jahren hat er den Menschen die 10 Gebote gegeben! Von denen zitiert die Zeugin jene wenigen, die man als sinnvoll betrachten kann (über die 10 Gebote/Verbote habe ich ja schon geschrieben). Natürlich zitiert sie das Verbot, falsch gegen den Nächsten auszusagen, falsch als keine falschen Aussagen machen – und verstößt damit gleich gegen ihr fiktives Gebot. Ich bin nicht beeindruckt.

Aber es gab

vor 3.500 Jahren schon Hygienevorschriften! Man musste sich die Hände waschen, Abstand halten und bei ansteckenden Krankheiten in Quarantäne gehen

und natürlich durfte man keine Kleidung aus unterschiedlichen Arten von Stoff anziehen, und bloß kein Cordon Bleu essen (Fleisch UND Milchprodukt)! Hefe wird im alten Testament häufiger verboten als Homosexualität. Bei tausenden Vorschriften sind natürlich rein zufällig auch sinnvolle dabei. Alberne, menschenverachtende und kontraproduktive natürlich auch.

(Wann muss eine Frau nach alttestamentarischem Recht noch in Quarantäne gehen? Wenn sie ihre Tage hat. Sie ist in diesem Zeitraum unrein und unberührbar. Die christlichen Frauen, die das heute noch für eine sinnvolle Vorschrift halten, sind wohl leicht abzählbar.)

Was folgt aus all dem? Die Bibel enthält auch für uns im 21. Jhdt wertvollen Rat. Ja klar, man muss ihn nur finden und den wertlosen Rat (eher die Mehrzahl) verwerfen. Die Bibel ist kein altes, verstaubtes Buch ohne Wert. Beleg? Die Bibel natürlich, 2 Timotheus 3:16. Blöd, dass dieser Brief, so wie der andere, den sie zitiert hat, in der Wissenschaft als gefälscht gilt. (TheologInnen bezeichnen sie als Pseudoepigraphisch, das klingt für sie besser, bedeutet aber dasselbe.) Sie will also die Wahrheit eines Buches mit einem Zitat aus dem selben Buch, dessen Unwahrheit etabliert ist, belegen. Schwach. Sehr schwach. Vielleicht sollte sie auch Bücher aus den letzten 50 Jahren lesen? Und keine falschen Aussagen machen?

Nach so vielen Ausführungen blieb keine Zeit oder kein Platz auf dem Papier, um meine wichtigen Fragen zu beantworten, nämlich die aus Wie du uns bekehren kannst. Ich muß mich also diesmal kürzer fassen und die Fragen wiederholen.

Das ist also meine Antwort:

Liebe …,

danke für den Brief, den ich vor kurzem erhalten habe. Jetzt wird mir einiges klarer, vielen Dank für die Mühen, die Sie sich machen, indem Sie meine Fragen beantworten.

Leider haben Sie meine wichtigsten Fragen nicht beantwortet: Erstens, ob wir heute Ereignisse sehen, die auf die Existenz von etwas, was wir nicht naturwissenschaftlich erklären können, hindeuten. Und zweitens, wie wir wissen können, dass die Ursache dieser Phänomene göttlich sein muss. Wie Sie wissen, arbeite ich mit Daten und Computern und finde daher logische, aufeinander aufbauende Erklärungen wichtig.

Wenn Sie die Bibel zitieren, um Dinge zu belegen, müssten Sie noch plausibel machen, warum alles, was in der Bibel steht, stimmt. Die Erklärung dafür sollte aber nicht aus der Bibel kommen, so funktioniert das nicht. So ein Verweis steht auch im Koran, und viele Romane behaupten, eine wahre Geschichte zu erzählen. Also was ist an der Bibel besonders?

Aja, ich habe vor kurzem eine mir gut bekannte Christin gefragt, ob sie findet, dass ihr Gott namenlos ist. Sie hat gemeint, nein, ihr Gott hat einen Namen, und der sei Jesus Christus. Jetzt bin ich verwirrt, Sie und meine Bekannte behaupten beide, christlich zu sein, nennen aber ihren Gott unterschiedlich.

In der Hoffnung auf eine Antwort auf meine Fragen und die Aufklärung meiner Verwirrung aus kundiger Hand,

schöne Grüße

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