In der Bibelschule (1)

Im Postkasten des Ferienhauses lag plötzlich ein Büchlein, kaum mehr als eine Broschüre, mit 90 Seiten. Der Titel (aus dem Ungarischen übersetzt): Der beste Weg. Laut Impressum eine Übersetzung von Ellen G. White: Steps to Christ. Eine kurze Web-Suche ergibt, dass White eine Prophetin und wesentliche Mitbegründerin der Siebenten-Tags-Adventisten war. Wer diese Gruppe nicht kennt: Sie gehen von einer baldigen Wiederkehr von Jesus Christus aus, haben am Samstag ihren Ruhetag und legen großen Wert auf gute Ernährung. Priesterinnen lassen sie nicht zu. Und anscheinend haben sie genug Geld, um die Essays der Religionsmitgründerin übersetzen, drucken und gratis verteilen zu lassen.

Der Text ist die übliche Ansammlung von erfundenen, aber mit tiefer Überzeugung vorgetragenen Dingen, non sequiturs und willkürlich ausgewählten Bibelzitaten; nicht sehr interessant. Nach einer kurzen Durchsicht hat die Broschüre den verdienten Weg ins Altpapier gefunden. Ein Aufkleber war jedoch interessant: Er lädt auf bibliaschuli.hu (Bibelschule) ein. Dort befinden sich tatsächlich – soweit ersichtlich – kostenlose Bibelkurse. Kurz entschlossen entscheide ich mich, einen Kurs zu machen. Kann ja nicht schaden.

Die Website enthält keine klare Information darüber, welche Bekenntnisgemeinschaft dahinter steht. Die Links führen zu frei zugänglichen Online-Bibeln und zu Seiten wie neue Lebensweise bzw. Neustart. Diese sind eine Mischung aus Ernährungsinformationen und christlichen Inhalten – schauen also sehr nach Siebenten-Tags-Adventisten aus, wenn man sich schon vorbereitet hat. Das werde ich beim Studium im Kopf behalten.

Kurs: Entdeckungen in der Bibel

Nach einer simplen Registrierung (Name, E-Mail-Adresse, Alter, Wohnadresse) sind die Kurse auswählbar. Der erste, der mich anspricht, heißt Entdeckungen in der Bibel.

Die Einleitung startet mit einigen allgemeinen Fragen, die angeblich weder von Wissenschaft noch Technik beantwortbar sind, aber die Bibel enthielte wichtige Dinge zu ihnen. Spannend. Dann anonyme Testimonials, die beste Form von Evidenz (zumindest auf religiösen Webseiten). Für eine/n Dr. C. M. ist die Bibel z. B. ein Spiegel, in dem er/sie sich erkennt, und nichts heilt sie/ihn so, wie die Bibel. Ich bin fast überzeugt.

Und schon kommen willkürlich ausgewählte Bibelzitate, die gerade zum Thema passen. Dass es auch Stellen mit diametral entgegengesetztem Inhalt gibt, lernen wir wohl später. Da muss man Geduld haben.

Folgendes erfahren wir aus den Zitaten:

  • Die Bibel stellt uns Gott vor (also eigentlich mehrere, aber das muss ich an dieser Stelle des Studiums noch nicht wissen) und erklärt uns, was dieser mit uns vorhätte.

  • Sie gibt uns Sicherheit in einer unsicheren Welt, Navigation in einer Welt, die durcheinander ist, bietet Frieden in einer unfriedlichen Welt, und ordnet unsere Vergangenheit.

So ungefähr geht es weiter. Wer Wiederholungen mag, kommt gleich am Anfang des Bibelstudiums auf seine/ihre Kosten. Wer neugierig ist, wie etwas auf einem höheren Niveau als Kalendersprüche begründet wird, nicht so.

Dann einige Empfehlungen: Am besten täglich Bibel lesen, immer dann, wenn es am besten passt. Aber immer nur in Ruhe, in kleinen Abschnitten. (Vielleicht merkt man dann die Widersprüche nicht so genau.) Ausdauer ist wichtig: Wenn man nicht sofort passende Lebensrezepte findet, soll man einfach nicht aufgeben; irgendwann folgt dann ein erstaunlich lebensnaher Satz.

Ein paar gute Ratschläge schließen diese Lektion ab: Wer die Bibel noch nicht kennt, soll im neuen Testament bei Markus oder Lukas anfangen. Dabei soll man folgende Fragen beantworten: Was steht im Text? Was hat das mit mir zu tun? Was will Gott mir sagen? Was kann ich damit machen, was an andere weitergeben?

Dieser Bibelkurs empfiehlt, die erste ungarischsprachige Bibel (Erscheinungsdatum: 1590) zu nutzen, und bei Unklarheiten auf eine moderne Übersetzung zurückzugreifen. Beides gibt es online.

Markus und Lukas sind als Einstieg ins Bibellesen eine (aus der Sicht der Erstellenden dieses Kurses) gute Wahl: Sie stimmen weitgehend mit der verbreiteten christlichen Folklore überein, haben nicht zu viele Bezüge zum alten Testament wie Matthäus und auch nicht die wahnhaft gesteigerte, von Hass auf JüdInnen triefende Theologie von Johannes. Die absurden Erzählungen aus dem alten Testament, aufgelockert durch Völkermord, Verrat, sexuelle Gewalt und Ungerechtigkeit, kommen nicht so stark zum Tragen. Hier wird man nicht gleich vor den Kopf gestoßen.

Am Ende der Seite darf man zu den Fragen weiter.

Die ersten Fragen sind multiple choice, dann kommen aber Textfelder, um freie Antworten zu geben. Ich beantworte die Fragen nach bestem Wissen und Gewissen. (Beispiel: Wie wirken Gottes Angebote auf Sie? Sie sind unterhaltsam, aber gleichzeitig macht es traurig, dass so viele Menschen so etwas glauben.)

Nach der Übermittlung der Antworten erscheint: Wir haben Ihre Antworten bekommen und werden Ihren Test bald bewerten!. Das ist also der Mechanismus, mit den SchülerInnen in Kontakt zu treten. Bis zur Bewertung dürfen die weiteren 27 Kapitel nicht geöffnet werden. Ich bin gespannt, Fortsetzung folgt.

Alle Teile dieser Serie:

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