In der Bibelschule (21)

Die einundzwanzigste Lektion ist mit Liebe statt Leistung betitelt und wird mit einigen Absätzen über die Liebe eingeleitet. In diesen wird dann ein Bogen zu den Geboten Gottes gespannt, die ein Ausdruck seiner Liebe sein sollen. Diese Gebote bilden dann der Schwerpunkt der Lektion.

(Im Ungarischen gibt es zwei verschiedene Wörter fürs deutsche Wort Liebe. Einerseits die romantische Liebe, das Verliebtsein in eine Person, andererseits die allgemeine Liebe, die man zur Familie, zu FreundInnen und Haustieren empfinden kann. Die Lektion verwendet das Wort, das dieses zweite Konzept bezeichnet.)

Liebe. Wir haben sehr viele Vorstellungen von ihr: Sicherheit, Anziehung, Zärtlichkeit, Gemeinschaft. Die Liebe ist ein Gefühl. Und wir wissen, dass Gefühle sich schnell verändern können.

Das ist von allen Gefühlen eigentlich am wenigsten für die Liebe gültig. Wer einmal eine Liebe zu Geschwistern, Eltern oder FreundInnen aufgebaut hat, wird sie im Allgemeinen sehr lang haben. Andere Gefühle wie Zorn, Freude, Enttäuschung sind wesentlich kurzlebiger.

Natürlich kennt auch die Liebe, von der Gott in der Bibel spricht, diese Gefühle. Diese Liebe wendet sich an die anderen. Sie freut sich mit ihnen. Sie gibt anderen Mut in schwierigen Situationen. Aber Gottes Liebe ist noch mehr.

Und immer wieder die Formulierung noch mehr, ohne die Basis (wovon noch mehr gerechnet wird) überhaupt etabliert zu haben.

Gott weiß, dass wir alle die Liebe brauchen. Deswegen hat uns Jesus den Rat gegeben, unsere Nächsten so zu lieben wie uns selbst. Das ist nicht immer einfach. Als Hilfe hat Gott uns seine Gebote geschenkt. Regeln, die es ermöglichen, mit ihm und unseren Mitmenschen zusammenzuleben.

Und das war's auch schon mit der Liebe. In Wirklichkeit geht es in dieser Lektion um die Ge- und Verbote, das schlecht durchdachte Geschwafel über die Liebe war nur ein Vorwand, um sie einzuführen. Kein vernünftig denkender Mensch empfindet die Einführung von Verhaltensregeln und Verboten, deren Nichtbeachtung ewige Strafen nach sich zieht, als Liebe. Aber die Bibelschule vermeidet wohlweislich, an dieser Stelle auf die Strafen hinzuweisen.

Unsere Gesetze ändern sich ständig.

Ja, es werden ständig minimale Änderungen an technischen Parametern einzelner Gesetze gemacht, um sie besser an die Realität anzupassen. Wirklich große Änderungen, die Auswirkungen aufs Leben vieler Menschen haben, gibt es vielleicht einige Male im Jahr.

Die Beurteilung von Gut und Böse kann sich als Ergebnis neuer Erkenntnisse oder Meinungen ändern. So kann der Mensch leicht den Eindruck gewinnen, dass Gesetze nicht sehr wichtig sind, und nicht unbedingt beachtet werden müssen.

Dass wir als Gesellschaft dazulernen und deswegen unsere Einschätzung von Gut und Böse sich ändert, führt dann zum Beispiel dazu, dass homosexuelle Mitmenschen zuerst entkriminalisiert wurden, und mittlerweile in vielen fortschrittlichen Ländern auch heiraten können. Seit 2022 ist es in Österreich möglich, Hilfe beim selbstbestimmten Lebensende in Anspruch zu nehmen. Diese Verbesserungen althergebrachter Regeln haben eine große Unterstützung in der Bevölkerung, und verbessern die Wirklichkeit für viele Betroffene. Sie zeigen sehr gut, dass es in einer demokratischen, toleranten, aufgeklärten, die Entwicklung der Wissenschaft beachtenden Gesellschaft absolut sinnvoll ist, Gesetze regelmäßig zu evaluieren und bei Bedarf zu verbessern.

Wenn Gesetze demokratisch unter Achtung der Rechte und Interessen von Minderheiten beschlossen wurden, dann werden sie auch angenommen und beachtet.

Die Bibel enthält viele Gesetze und Vorschriften. Als Moses lebte, gab es im Grunde zwei Arten von Gesetzen: Die zehn Gebote, eine Art Grundgesetz, die Gott selbst auf zwei Steintafeln schrieb. Diese wurden in der Bundeslade aufbewahrt. (5 Mose 10:1-5) Daneben gab es das Gesetzbuch Mose, das er im Auftrag Gottes schrieb (5 Mose 31:24-26).

Huh, jetzt habt ihr euch eine Falle gegraben. Die Überschrift Die zehn Gebote steht in christlichen Bibeln (aber nicht in jüdischen Überlieferungen) über dem Kapitel 2 Mose 20. Dann gehen die Vorschriften aber noch zum Kapitel 31 weiter, mit detaillierten Einrichtungstipps, Kleidungsvorschriften, Gesetzen über Sklaverei, Tierhaltung, Kalender und Blutrituale. Es ist absolut unklar, welche Ge- und Verbote auf den Steintafeln geschrieben standen, die der mythische Moses in der Erzählung zu den Israeliten bringt. Aber da er zu lang auf dem Berg bei Gott verweilt, wird das Volk unruhig und bastelt sich das goldene Kalb als Ersatzgott, Moses sieht das und wird so zornig, dass er die Tafeln zerschmettert (2 Mose 32:19). Diese sind also in keiner Bundeslade.

Nach dem obligatorischen Massaker (Jeder erschlage seinen Bruder, seinen Freund, seinen Nachbarn. 2 Mose 32:27) muss Moses nochmal auf den Berg steigen, ein Zeltabenteuer mit Gott durchleben (Kap. 33) und in Kapitel 34 neue Tafeln vorbereiten.

Für diese neuen Tafeln fallen Jahwe neue, immer absurdere Gebote ein, unter anderem: Das Junge einer Ziege sollst du nicht in der Milch seiner Mutter kochen. (2 Mose 34:26).

Diese Tafeln sind dann unbeschädigt beim Volk angekommen und liegen in der Bundeslade. Sie haben mit den später vom Christentum so markierten zehn Geboten nur am Rande zu tun. Selbst wenn man sich auf diese Legenden berufen will: Als Quelle für klar abgegrenzte Ge- und Verbote taugen sie nicht. Aus dem Text geht klar hervor, dass Gott alle Regeln als gleich wichtig und nicht verhandelbar betrachtet.

Die beiden Arten von Gesetzen müssen wir sorgfältig voneinander unterscheiden, damit wir nicht jedes Gesetz als ungültig betrachten. Es wurden nämlich einige Vorschriften wie jene fürs Opferwesen und den priesterlichen Dienst mit dem Tod Jesu und seiner Auferstehung erfüllt.

Wie werden Vorschriften erfüllt? Vorschriften bleiben bestehen oder werden aufgehoben. In den Erzählungen ist keine Klausel wie macht das nur, bis das und das passiert genannt. Nein, hier hat das Christentum willkürlich ausgesucht, was es weiterführen will – vor allem, weil nach dem römisch-jüdischen Krieg 70-74 unserer Zeitrechnung Jerusalem unbewohnbar gemacht und der Tempel zerstört wurde, was die Ausführung der Rituale teilweise verhinderte.

Diese Wirkung berührt aber nicht die zehn Gebote. Diese haben ihre Gültigkeit nicht verloren. Und wir dürfen sie nicht ändern, weil Gott sie uns gegeben hat. Sie sind verpflichtend, so, wie sie in der Bibel beschrieben sind.

In der Geschichte gibt Gott kapitelweise absurde Vorschriften. Sie sind in keiner Weise anders als die willkürlich ausgewählten zehn Gebote, die es dann auch noch nicht in die Bundeslade geschafft haben.

Jetzt zitiert die Bibelschule die angeblichen zehn Ge- und Verbote. Ich habe mich mit ihnen schon einmal auseinandergesetzt, werde hier also nur zusammenfassen: Diese Gebote enthalten mindestens fünf Verletzungen von Grundrechten, fünf irrelevante Regeln und immerhin zwei tatsächlich sinnvolle Verbote. Wer sich nach diesen Regelungen richtet, wird sich in einer modernen Gesellschaft zumindest isolieren, und nicht wissen, wie er/sie im Alltag zurechtkommen soll. Es sind nun mal Regeln, die jemand vor 2500 bis 3000 Jahren in einer nomadischen Gesellschaft für sinnvoll hielt – und dessen Nachfolger sie willkürlich ausgewählt haben.

Wenn wir die Bibel lesen, haben wir manchmal den Eindruck, dass Jesus alle vorherigen Bestimmungen außer Kraft gesetzt hätte. Er heilte am Samstag Kranke, war mit Heiden und Kranken in Kontakt, die als unrein angesehen wurden, und er hat sogar einer Ehebrecherin vergeben, die nach den damaligen Regeln die Todesstrafe verdient hätte. Hat Jesus die Gesetze nicht ernst genommen?

Abgesehen von der Geschichte mit der Ehebrecherin, die bekanntermaßen erst Jahrhunderte später ins Johannesevangelium eingefügt wurde, erwecken die Evangelien – je nach theologischer Ausrichtung des jeweiligen Autors – den Eindruck, dass Jesus manchmal eher frei mit den Gesetzen umgeht. Da es sich mit allen Widersprüchen und den gut identifizierbaren literarischen Elementen um frei erfundene Erzählungen mit einem umstrittenen historischen Kern handelt, ist das auch voll in Ordnung, wenn man sie als Lehrmärchen ansehen will.

Das ist keineswegs der Fall. Jesus selbst bezieht sich immer wieder auf das Gesetz Gottes (Matt 19:16-19).

Die angegebene Stelle bezieht sich einerseits auf fünf von den angeblichen zehn Geboten, andererseits auf die Nächstenliebe – die nirgends in den mosaischen Gesetzen zu finden ist.

Den Kern dieser Aussage fasst er so zusammen:

Er antwortete ihm: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten. (Matt 22:37-40, Einheitsübersetzung)

Also sind die zehn Gebote weder das erst- noch das zweitwichtigste Gebot laut Jesus! Und das in jenem Evangelium, das Jesus' Treue zum Judentum am stärksten betont, während die anderen ihn eher auf Distanz dazu gehen lassen.

Im Matthäus-Evangelium sagt Jesus: Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben! Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen. Amen, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird kein Jota und kein Häkchen des Gesetzes vergehen, bevor nicht alles geschehen ist. Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein. (Matt 5:17-19, EÜ)

Die Christen bewegen sich also auf unsicherem Boden, wenn sie aus Jesus' angeblichen Aussagen irgendwelche bindenden Regeln ableiten wollen. Die Grundlage dafür ist viel zu widersprüchlich. Gelten alle Gesetze weiter oder nicht? Wer kann sie aufheben, wer hat sie wann aufgehoben?

An diesem Punkt in der Lektion ist es völlig unklar, was genau Gottes Gesetz sein soll. Liebe zu Gott, Nächstenliebe, die zehn Gebote, oder eine beliebige Kombination daraus, je nach eigener Interpretation der Lieblings-Bibelstellen?

Gottes Gesetz spiegelt seine Liebe in unsere Richtung wider.

Das ist schon als Bild falsch: Widerspiegeln projiziert etwas zum Betrachter zurück. Falls gemeint ist, dass wir dadurch Gottes Liebe erfahren: Nein, das wurde bisher in keiner Weise etabliert. Es wurden großteils sinnlose oder schädliche Vorschriften erwähnt, die von Jesus vielleicht oder auch nicht aufgehoben und durch ein Liebesgebot ersetzt wurden. Aber aus Denn ich bin der HERR, dein Gott, ein eifersüchtiger Gott: Ich suche die Schuld der Väter an den Kindern heim, an der dritten und vierten Generation, bei denen, die mich hassen (2 Mose 20:5, EÜ) lässt sich keine Liebe ablesen.

Es schützt uns vor falschen Entscheidungen und negativem Verhalten. Wenn wir erlauben, dass die Liebe uns, die hinter Gottes Gesetz steht, leitet, dann können wir auch sagen, was im Psalm steht:

Wie sehr liebe ich deine Weisung, den ganzen Tag bestimmt sie mein Sinnen. (Psalm 119:97, EÜ)

Dieser Psalm ist aus dem alten Testament. Er verweist auf das gesamte mosaische Gesetzeswerk, mit allen Speisevorschriften, Genitalverstümmelung und Sklaverei. Ja, alle diese Gesetze können einen den ganzen Tag beschäftigen. Sie zu lieben ist eher Ausdruck für ein fortgeschrittenes Stockholm-Syndrom.

Gottes Leitfaden zur Liebe enthält auch die Möglichkeit der Selbsterkenntnis:

… denn durch das Gesetz kommt es nur zur Erkenntnis der Sünde (Römer 3:20, EÜ)

Kein Wunder, dass die Bibelschule hier nicht weiter zitiert, es kommt nämlich ein Widerspruch: Jetzt aber ist unabhängig vom Gesetz die Gerechtigkeit Gottes offenbart worden… (EÜ).

Es kann von Zeit zu Zeit deprimierend sein, wenn wir immer wieder Mängel in uns finden. Es geht letztendlich nicht um große Dinge wie Mord, Diebstahl oder Ehebruch.

Je mehr unsinnige Vorschriften wie sexuelle Beziehungen außerhalb der Ehe sind verboten man sich auferlegt, desto öfter wird man darunter leiden. Als säkularer Humanist kann man eben selbst einschätzen, was ein Fehler ist und was Menschen glücklich macht. Und man kommt gar nicht auf die Idee, einen Mord zu begehen, nur weil in den heiligen Büchern regelmäßig Aufrufe dazu stehen. Und man verschwendet auch nicht Liebe an einen nicht existierenden Gott.

Eines müssen wir aber festhalten: Das Gesetz zeigt unsere schwachen Punkte auf. Von unseren Fehlern befreit es uns nicht, aber es macht uns sensibler für sie. Wir werden nicht gerecht, indem wir sie genau einhalten. Gott schaut nicht auf die Leistung.

Doch. Im alten Testament wird man aus allen möglichen Gründen und Nichtgründen getötet, auch wegen der vermeintlichen Sünden anderer Menschen. Das neue Testament verspricht ewige Strafen für alle, die vorgegebene, absurde Glaubensinhalte nicht annehmen. Auch wenn es diesen Gott gäbe, hätte er keinen Grund geliefert, ihn zu lieben. Im Gegenteil.

Die zehn Gebote sprechen zum Herzen und dem Verstand. Eine Maßeinheit, an die sich unser Gewissen anpasst.

Falsch. Unser Gewissen erlaubt uns, nicht an Jahwe zu glauben, oder an ganz andere GöttInnen, und wir haben keinen Schaden davon. Unser Herz zieht uns zu Menschen, die wir auch ohne spezielle Rituale lieben wollen, auch sexuell. Und wir sind frei im Denken, ohne Denkverbote (du sollst nicht … begehren). Wir entscheiden selbst, was für uns und unser Umfeld, unsere Gesellschaft, die Menschheit gut ist. Die Ziegenhirten aus der Eisenzeit und ihre Regeln helfen uns nicht.

Solange wir leben, sind wir auf solche Orientierungspunkte angewiesen. Ohne sie können wir nicht harmonisch zusammenleben.

Das ist eine Lüge, leicht widerlegt. Die säkularsten Gesellschaften (also jene, die sich am wenigsten um göttliche Gesetze kümmern, sondern ihre Regeln demokratisch und mit Rücksicht auf Minderheiten aushandeln) sind die erfolgreichsten, glücklichsten, haben die niedrigste Kriminalität, leben also harmonisch zusammen. Wo Theokratie herrscht oder von vielen gewünscht wird, ist es wesentlich weniger harmonisch, weil monotheistische Religionen einen absoluten Wahrheitsanspruch stellen und Abweichungen nicht tolerieren.

Gott überlässt uns nicht unserem Schicksal. Sogar das Leben seines Sohnes hat er riskiert, damit wir nicht die Folgen unserer Auflehnung erleiden müssen.

Das Leben des Sohnes riskiert? Oder den doch zu Tode foltern lassen, für irgendwelche erfundenen Sünden, die er als Gott selbst verursacht hat? Diese Erzählung, egal wie man sie ausschmückt oder relativiert, ist und bleibt dumm und menschenverachtend – mit Liebe hat sie nichts zu tun.

Es geht immer noch darum, aus der antiken Logik Gott ist angefressen und kann nur mit einem großen Menschenopfer besänftigt werden eine Erzählung zu konstruieren, ohne sich dabei in zu viele Widersprüche zu verheddern. Das passt aber nicht zur Erzählung der Allmacht (dann ginge es auch ohne Opfer) und zur Auferstehung (womit das Opfer auf ein unangenehmes Wochenende reduziert wird).

Diese Lektion hat eine wunderschöne Frage mit freier Antwortmöglichkeit dabei:

Wie wichtig sind die zehn Gebote Ihrer Meinung nach in unserer Zeit?

Meine Antwort ist natürlich: Überhaupt nicht wichtig. Ich beschreibe die erwähnten Verstöße gegen Grundrechte, und dass die erfolgreichsten Gesellschaften jene sind, die sich nicht um alte Vorschriften kümmern. Um die Antwort doch ein bisschen in die gewünschte Richtung zu biegen, schreibe ich noch dazu: Daraus sehen wir, dass das Gesetz der Nächstenliebe das wichtigste ist.

Ich bin gespannt auf die Bewertung.

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