In der Bibelschule (6)

Es ist eine Woche vergangen, seit meine Antworten auf die Fragen der fünften Lektion korrigiert wurden. Nach Ablauf der Woche hat mich sogar das Lernsystem mit einer E-Mail erinnert, weiterzumachen. (Dürfen eigentlich die Server der Siebenten-Tages-Adventisten am Samstag solche Erinnerungs-E-Mails aussenden? Zählt das als Arbeit?)

Die sechste Lektion ist über Jesus Christus und hat den Titel Er lebt für dich. (Ich habe gedacht, er wäre für uns gestorben, aber das ist sicher nur Haarspalterei.)

Die Lektion beginnt mit einer dramatischen, fiktiven Beschreibung des Tages, an dem Jesus gekreuzigt worden sein soll. Er wird als Sohn armer Menschen beschrieben, bis zum 30. Lebensjahr Zimmermann und dann dreieinhalb Jahre Wanderprediger. Die Lektion stellt die Frage: Warum musste er sterben?

Mein Wissensstand ist folgender: In Wirklichkeit wissen wir nichts über einen Jesus Christus, falls es ihn überhaupt als historischen Wanderprediger gegeben hat. Die Evangelien sind 40 bis 70 Jahre nach seiner angeblichen Tätigkeit entstanden, sind keine Augenzeugenberichte, und enthalten so viele nachgewiesen falsche und einander widersprechende Dinge, dass es nicht möglich ist, die Wahrheit auch nur einer Behauptung zu belegen. Sie können nicht alle gleichzeitig wahr sein – aber sehr leicht alle frei erfunden. Paulus, der noch vor den Evangelien in den 40-er- und 50-er-Jahren des ersten Jahrhunderts seine Briefe verfasst hat, schreibt nichts über Taten oder Aussagen eines irdischen Jesus – er behauptet selbst, sein Wissen über Jesus aus Halluzinationen und der Schrift zu beziehen.

In dieser Lektion tue ich aber so, als wären die Evangelien historische Erzählungen, auf die wir uns verlassen können.

Nach einigen Erwähnungen von wild zusammengewürfelten Zitaten verschiedener Stellen des neuen Testaments wird als Hauptgrund des Todesurteils eine Szene in Matthäus 26:63-67 genannt, in der Jesus eine vage Prognose über die Zukunft abgibt. (Wer sich auch nur ein bisschen mit jüdischem und römischem Recht beschäftigt hat, weiß, dass die dort erwähnten Handlungen der Hohepriester, während eines Verfahrens jemanden zu schlagen und ihm ins Gesicht zu spucken, das Gerichtsverfahren ungültig gemacht hätten – ein sehr gutes Indiz dafür, dass diese Geschichte frei erfunden ist und dazu dient, Mitleid mit der Romanfigur zu erzeugen.)

Das war schon schwach, aber christliche Bibeldeutung kann sich selbst immer übertreffen. Jetzt kommen also die Prophezeiungen, die belegen sollen, dass Jesus exakt im alten Testament vorhergesagt wurde.

Als Evidenz ist hauptsächlich das Matthäus-Evangelium angeführt, dessen Autor immer wieder beschreibt, welche Vorhersage mit seiner Erzählung gerade erfüllt wird. Eben jemand, dessen literarisches Konzept vorsieht, dass Jesus der Messias ist und angekündigt wurde, und in seinem Werk darauf Bezug nimmt. Diese Dinge sind in den anderen Evangelien nicht enthalten oder anders beschrieben, es braucht schon viel religiöse Verblendung, sie auch nur für plausibel zu halten, geschweige denn für die Wahrheit.

Dass der Messias eigentlich als jemand beschrieben wurde, der als Heerführer die Besetzung Israels in Kriegen beendet, wird hier verschwiegen. Bitte immer nur die markierten Sätze im alten Testament lesen, keinesfalls weiter!

Da es für ein später entwickeltes Christus-Bild nicht reicht, nur den irdischen Jesus zu beschreiben, braucht es noch Evidenz dafür, dass er vorher schon existiert hat. Dies finden wir ausschließlich im Johannes-Evangelium, um 100 unserer Zeitrechnung entstanden, und in noch neueren, fälschlicherweise Paulus zugeschriebenen Briefen.

Dann kommt eine lange Liste von Jesus' positiven Eigenschaften: Sorge für die Armen, ein sündenloses Leben, seine Heilungswunder. Nichs über seine fragwürdigen Aussagen wie die unmittelbar (im Leben der Anwesenden) bevorstehende Endzeit, auf die Christen seit fast 2000 Jahren warten; dass getaufte Gläubige problemlos Gift trinken und Schlangen anfassen können; dass Städte, in denen den Jüngern nicht geglaubt wird, auf grausame Weise vernichtet werden und so weiter.

Das Kreuz

Jetzt kommt eine grosse Kehrtwende, die ErstellerInnen der Lektion hoffen, dass man schon vergessen hat, wie unfair die Verurteilung und Hinrichtung vorhin dargestellt wurden. Ab jetzt wird nämlich erklärt, dass die ganze Leidensgeschichte notwendig und von Jesus so eingefädelt und gewollt war. Natürlich alles für uns, um unsere Beziehung mit Gott zu ordnen.

Also eine gute Nachricht: Jesus ist nicht für immer gestorben! Er hat den Tod besiegt und ist auferstanden! Und er wird für uns vor Gott als Verteidiger fungieren. (Wenn er nicht bei Matthäus selbst der Richter ist – ein faires Verfahren sieht anders aus. Hier schießen sich die Evangelien wieder Eigentore.)

Noch ein guter Rat für die Zukunft: Es reicht nicht, einfach nur theoretisch zu wissen, wie Jesus gestorben, auferstanden und für uns eingetreten ist. Das Evangelium wird nur dann für uns wirksam, wenn wir Jesus wie unserem Freund vertrauen, seine Aussagen glauben und seine Anweisungen befolgen. (Schwierig bei all den Widersprüchen, aber wenn man wie hier immer nur einzelne Bibelverse situationselastisch heraussucht, geht es vielleicht.) Wenn wir jetzt unsere Sünden bereuen und ihre Konsequenzen betrachten, können wir die Befreiung des Evangeliums erleben und die väterliche Nähe Gottes spüren. (Ich verzichte dankend. Es gibt besser erfundene Religionen mit sympathischeren Protagonisten, falls ich mal das Bedürfnis nach einer verspüre.)

Damit endet die Lektion. Auf zu den Fragen.

1. Wer war Jesus Christus wirklich?

Gottes Sohn, Menschensohn, Märtyrer, Lehrer.

2. Kreuzen Sie die wahren Aussagen an!

a) Die wichtigen Stationen von Jesus' Leben wurden im alten Testament vorhergesagt

b) Jesus hat schon vor seiner Geburt in Betlehem existiert

usw. Ich antworte unter Zuhilfename der Behauptungen in der Lektion.

3. Wie sah Jesus das Ziel seiner irdischen Existenz?

Er kam, um die Erbsünde der Menschen auf sich zu nehmen und seinen Papa mit seinem Tod zu besänftigen.

4. Was bedeutet es für Sie, dass Jesus auch heute lebt?

Das wird jetzt zu albern. Ich antworte: Ich muss richtig leben, nach den besten Lehren. Wie ein Humanist eben.

Das war's für diese Lektion. Es ist recht anstrengend, sich durch so viel Unfug zu arbeiten, die mehr als eine Woche lange Pause war bitter nötig.

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