In der Bibelschule (19)

In der neunzehnten Lektion bekommen wir angeblich Geschenke von Gott, manche von ihnen unter Zwang. Im Gegensatz zu normalen Geschenken wissen wir auch nicht, dass wir sie bekommen haben; wir müssen sie aktiv (mit der richtigen Menge biblischen und christlichen Selbstbetrugs) suchen. Und wir erfahren, dass die Geschenke mehr den Zielen des Schenkenden dienen als sie uns nützen.

Es gibt Menschen, die darunter leiden, dass sie keine besonderen Fähigkeiten haben. Sie halten sich für mittelmäßig oder sogar für komplett überflüssig. Sie wählen sich häufig Vorbilder, die es auf einem Gebiet weit gebracht haben. Sie beobachten das, was diese Menschen vollbringen, mit Bewunderung und häufig mit Neid, und quälen sich mit dem Gedanken, warum sie selbst das alles nicht können.

Das ist richtig, Talente, aber auch die Ausbildungschancen in der Gesellschaft sind ungleich verteilt. Dabei hätten alle Menschen nach Gottes Ebenbild geschaffen sein sollen.

Diese Unzufriedenheit ist völlig unnötig. Die Bibel spricht an mehreren Stellen davon, dass Gott uns allen mindestens eine Fähigkeit gegeben hat. Dies ist vollkommen individuell und an die Person angepasst. Jeder Mensch hat eine der zahlreichen Möglichkeiten.

Das ist ein Gedanke, der erstaunlich gut zu unserer heutigen Zeit, in der persönliche Freiheit und Individualität zählen, passt. Ob die 2000 bis 2500 Jahre alten Lehren in der Bibel das unterstützen? Ich bin sehr gespannt.

Die heilige Schrift vergleicht die Gemeinde mit einem Körper und dessen Gliedmaßen, jedes mit einer eigenen Aufgabe.

Menschliche Körperteile haben nicht nur eine Aufgabe. Sie haben einen vorgegebenen, festen Aufbau und klar umrissene Funktionen. Sie können nur das tun, wofür sie die Evolution entwickelt hat. Der Schädel ist nicht in der Lage, bei der Verdauung mitzumachen.

In einer christlichen Gemeinde gibt es auch viele Aufgaben, die aber in der Regel von Freiwilligen oder beruflich Freiwilligen, die sich für diese Laufbahn entschieden haben, übernommen werden. Es ist auch üblich, im Laufe der Zeit mehrere Funktionen hintereinander oder gleichzeitig zu bekleiden. Der Vergleich hinkt stark.

Unsere Fähigkeiten und Geschenke, die wir vom heiligen Geist erhalten, dienen immer der Gemeinschaft. Der Gemeinschaft des Einzelnen mit Gott, der Gemeinschaft mit den Mitgliedern der Gemeinde, und Gemeinschaft der gesamten Gemeinde mit Gott. Die Geschenke sind genauso vielschichtig wie die Aufgaben, die wir mit ihnen ausführen müssen.

Müssen? Das klingt nicht nach persönlicher Freiheit.

Die Bibel erwähnt unter anderem auch die prophetische Rede. Daneben zählt Paulus auch ganz praktische Dinge wie die Fähigkeit, einen Dienst in der Gemeinde verantwortungsvoll zu verrichten, an. (Römer 12)

Römer 12 ist die längere Passage, in der der Vergleich mit dem Körper aufgestellt wird. Darin wird die Vermutung bestätigt, dass die Menschen in der Gemeinde tatsächlich als eingeschränkte, jeweils auf eine Funktion begrenzte Körperteile an vorgegebener Stelle gesehen werden. Nichts mit individueller Verantwortung und Wahlmöglichkeit – also auch nicht, wie moderne Gemeinden im freichristlich-evangelikalen Bereich funktionieren.

Weitere geistige Geschenke, die das neue Testament nicht aufzählt, gibt es auch. Dazu gehören Zuhören, Trost, das Briefeschreiben (hä?), das Finden der richtigen Worte in verschiedenen Situationen, und viele andere Dinge.

Diese Geschenke hängen nicht mit der Erziehung, der gesellschaftlichen Einstellung, oder besonderer Gabe zusammen. Wir bekommen sie einfach geschenkt. Aus Gnade.

Alle angeführten Dinge kann man lernen und üben. Aber die Bibelschule bezeichnet lieber auch Dinge, die man sich selbst erarbeitet, als Geschenke von Gott, dem heiligen Geist oder wem auch immer. Nur ja nicht zu viel Fokus auf Fleiß und freie Entscheidungen des Menschen legen.

Der Vergleich der einzelnen Menschen und ihrer Fähigkeiten mit den Gliedern eines Körpers zeigt noch mehr Ähnlichkeiten und gegenseitige Abhängigkeiten. Obwohl alle verschiedene Aufgaben erledigen, sind sie für den ganzen Organismus gleich wichtig. In diesem Sinne gibt es keine schlechteren oder besseren geistigen Geschenke.

Im Gegenteil, gerade die schwächer scheinenden Glieder des Leibes sind unentbehrlich. (…) Gott aber hat den Leib so zusammengefügt, dass er dem benachteiligten Glied umso mehr Ehre zukommen ließ, damit im Leib kein Zwiespalt entstehe, sondern alle Glieder einträchtig füreinander sorgen. (1 Korinther 12:22-25, EÜ)

Das bedeutet, dass wir alle die gleiche Verantwortung für die richtige Verwendung unseres Geschenks tragen.

Hier wird der halbtot geprügelte Vergleich zwischen einer Gruppe von Menschen und dem Körper weiter bemüht. In der Zeit von Paulus wusste man wohl noch nicht, welche Organe des Körpers ohne größere Schäden entfernt werden können, weil sie im Laufe der Evolution ihre Funktion verloren haben. Dass unter Menschen Konkurrenz und Zwiespalt entstehen können, ist eine zutreffende Beobachtung – die Ehre für Glieder und ihre einträchtige Sorge füreinander absurde Erfindungen.

Die verantwortungsvolle Verwendung wird auch so ausgedrückt, dass wir uns mit einem bestimmten geistigen Geschenk nicht über andere erheben, als wären wir wertvoller als sie. Paulus hatte in dieser Hinsicht einige Probleme mit der Gemeinde in Korinth. Sie betonten das Geschenk der Zungenrede zu sehr. Es schien, dass die Gläubigen in ihren Gottesdiensten chaotisch hin und her redeten, und darauf auch noch stolz waren. Denen schreibt Paulus:

Denn Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern ein Gott des Friedens. (1 Korinther 14:33, EÜ)

Der Kontext ist hier der Ablauf des Gottesdienstes. Paulus verlangt, dass beim Zungenreden auch jemand übersetzen soll. (Das ist beim sinnlosen Gebrabbel natürlich absurd und wird auch nicht praktiziert.) Auch Propheten sollen zu Wort kommen. Das Zitat mit der Unordnung scheint sich schon darauf zu beziehen. Und dann kommt gleich der Satz, dass Frauen in der Versammlung schweigen und sich unterordnen sollen. Da dieser Teil aber in den ältesten verfügbaren Manuskripten fehlt, dürfte es sich um eine spätere Einfügung einer zunehmend männlich dominierten Kirche handeln, die für Macht sogar bereit ist, ihre heiligen Schriften zu fälschen.

Ich auch? Wie weiß ich, dass ich ein geistiges Geschenk bekommen habe? Die entscheidende Antwort finden wir in der Apostelgeschichte 2:38:

Kehrt um und jeder von euch lasse sich auf den Namen Jesu Christi taufen zur Vergebung eurer Sünden; dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen. (EÜ)

Da haben wir sie schon, die bewährte Betrüger-Methode: Erst in Vorleistung treten, dann irgendwann später irgendwelche nicht näher spezifizierten Geschenke versprochen bekommen.

Dabei hat die Bibelschule vorhin beschrieben, dass alle diese Geschenke erhalten hätten.

Alle, die umgekehrt sind und mit Christus ein neues Leben angefangen haben, bekommen ein geistiges Geschenk. Vielleicht nicht immer die Fähigkeit, die wir am meisten wollten. Aber in allen Fällen sollen wir nicht darüber nachdenken, ob wir das gewünschte Geschenk haben, sondern darüber, was wir für eine Gabe haben, und wie wir sie nutzen können.

Viel Einsatz für ein schwammiges, nicht überprüfbares Versprechen. Das ist keine Beschreibung von Geschenken, sondern die Erzählung von einem besonders zickigen und unzuverlässigen Osterhasen, der vielleicht auch mal etwas Nützliches bringt.

Was ich weiß: Es fällt nicht gleich auf, was meine geistigen Geschenke sind. Um sie zu erkennen, ist es am besten, Gott zu fragen, damit er sie zeigt.

Fehlt es aber einem von euch an Weisheit, dann soll er sie von Gott erbitten; Gott wird sie ihm geben, denn er gibt allen gern und macht niemandem einen Vorwurf. (Jakobus 1:5, EÜ)

Eine Methode des Selbstbetrugs mit einer anderen bestätigen, das hilft sicher, solange man es sich fest genug einbildet.

Die geistigen Geschenke existieren nicht im luftleeren Raum. Sie ruhen auf einem starken Fundament, und brechen nicht zusammen. Das ist am Beispiel der Christen in Korinth besonders auffällig. Paulus wusste, dass sie reich an geistigen Gaben waren. Doch es bestand die Gefahr, dass sie die Liebe vernachlässigen. Ohne diese wird aber jedes Geschenk inhaltslos und überflüssig.

Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, / hätte aber die Liebe nicht, / wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke. Und wenn ich prophetisch reden könnte / und alle Geheimnisse wüsste / und alle Erkenntnis hätte; / wenn ich alle Glaubenskraft besäße / und Berge damit versetzen könnte, / hätte aber die Liebe nicht, / wäre ich nichts. Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte / und wenn ich meinen Leib opferte, um mich zu rühmen, / hätte aber die Liebe nicht, / nützte es mir nichts. (1 Korinther 13:1-3, EÜ)

Ah, das bei Hochzeiten so gerne bemühte Zitat, aus dem im Volksmund der Glaube kann Berge versetzen wird!

Wenn nur der christliche Glaube und seine Anwendung auf menschliche Gesellschaften nicht so viel ehrliche Liebe verhindert hätte, statt Menschen auf Basis erfundener Lehren zu trennen!

Und schon wieder die Rede von Geschenken, über die man nicht frei verfügen kann.

Wir dürfen unsere Fähigkeiten nicht unter Bezugnahme auf christliche Bescheidenheit verbergen.

Wann waren evangelikale Christen je bescheiden?

Es ist vielleicht sinnvoll, die Eigen- und Fremdwahrnehmung zu vergleichen, wie sie vor kurzem in einer großen Ipsos-Studie im Auftrag einer US-amerikanischen Kirche ermittelt wurde (Perceptions of Christians). Jene, die nicht Christen sind, haben eine sehr unterschiedliche Wahrnehmung von ihnen. Die Kategorie bescheiden kommt nur in der Selbstbeschreibung der Christen vor – bei Nicht-Christen und nicht religiösen Menschen nicht einmal in den obersten zehn Eigenschaften.

Im Gegenteil: Suchen wir mit ihnen die Öffentlichkeit, weil sie bestimmt sind, dieser zu dienen. Sie müssen dort sein, wo sie gebraucht werden.

Diese Geschenke, die einen zu etwas verpflichten. Beim Betrug an PensionistInnen funktioniert das regelmäßig, es gibt eine ganze Industrie, die das ausnutzt. (Hier sind die christlichen Konfessionen nur mitgemeint.)

Wo die Menschen diese Eigenschaften in uns merken, werden wir zu Priestern Gottes. Nicht erschrecken! Nicht nur die, die in Kirchen predigen, sind Priester. Alle sind Priester, die mit ihrer christlichen Lebensführung und der Nutzung ihrer Geschenke für andere das Evangelium zum Leben erwecken.

Geschenke, die der eitle Gott zur Vermehrung seiner Anhänger hergibt. Das steht wörtlich da, wenn man es glaubt. Es geht letztendlich darum, die selbst entwickelten Fähigkeiten der Menschen nachträglich zum Gottesgeschenk umzuerklären und sie für die Missionierung zu verwenden. Die Bibelschule zeichnet von ihrem Gott wahrlich kein positives Bild.

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