In der Bibelschule (10)

Die zehnte Lektion heißt Gnade vor dem Urteil und es geht darin wieder um die Sünde sowie ihre angebliche Vergebung durch Gott.

Meine Antworten auf die letzte Lektion wurden als 100 % richtig bewertet. Ich werde langsam ein richtig braver Bibelschüler ;-). Und ich habe auch eine biblisch unbegründete Antwort auf meine Frage, warum der Turmbau in Babel schlimm war und die viel höheren Türme seither nicht.

Die Begründung der Lehrerin lautet so:

Gott sagte zu Noah nach der Sintflut: Vermehrt euch und füllt die Erde! Aber das Volk wollte nicht gehorchen und sich in alle Richtungen verteilen. Sie wollten aus eigener Kraft eine Lösung für ihre Befürchtung einer neuen Sintflut finden, sie glaubten Gott nicht.

Die Lehrerin interpretiert das in 1 Mose 11 hinein, das einzige Problem: Das steht dort so nicht. Erstens teilen sich die Völker nach Sprachen bereits in 1 Mose 10 auf verschiedene Länder auf, zweitens ist die Motivation der Menschen in dieser Gruppe klar wiedergegeben: Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis in den Himmel! So wollen wir uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen. Sie wollten im Märchen also das tun, was Menschen gerne tun: Hohe Gebäude bauen, sich einen Namen machen und zusammen bleiben.

Nach dieser Klärung weiter zur zehnten Lektion.

Zuerst erklärt die Bibelschule die Begriffe Amnestie und Gnade als Handlungen, die die Person, die sie gewährt, freiwillig setzt: Sie sind Geschenke.

Diese Gnade kann man sich nicht verdienen. Die Gnade bekommen wir genau deswegen, weil wir unsere schlechten Taten nicht wiedergutmachen können.

Falsch. Es gibt keinen Zusammenhang zwischen der Wiedergutmachung und der Gnade – wenn z. B. der Bundespräsident jemanden begnadigt, liegt das daran, dass er die Strafe als bereits verbüßt oder zu schwer betrachtet. Mit Wiedergutmachung hat die Strafe oder ihre Aufhebung nichts zu tun. Wenn man zu einem finanziellen Schadenersatz und Gefängnisstrafe verurteilt wird, muss man für die vorgesehene Zeit ins Gefängnis, auch wenn man den Schadenersatz überwiesen hat.

Sollen wir mit dieser falschen Gleichsetzung in die Richtung manipuliert werden, uns als arme Sünder zu fühlen, die nichts tun können, um ihre (erfundene und eingeredete) Schuld loszuwerden?

Die Menschen wollten immer mit Gott in Verbindung treten. Kulte, Riten, Opfer, Altäre, Blut und Tränen, Weihrauch und Kerzen, Güte und gute Taten, das sind nur Versuche, damit der Mensch Gnade bei Gott findet. Dahinter steht die Erkenntnis, dass wir allein nicht klarkommen. Was machen wir mit der verdorbenen Vergangenheit, dem Schuldbewusstsein und der Zukunftsangst?

Bingo. Märchen-Oma und -Opa haben vom falschen Baum gegessen, jetzt sind wir irgendwie mit schuld und können nichts tun. Egal, ob wir selbst richtig handeln oder nicht.

Was für eine pessimistische, aussichtslose Weltsicht. Kein Wunder, dass das Christentum sich als Lösung anbietet – für ein selbst geschaffenes, frei erfundenes Problem.

Gott hat die Initiative: Die religiösen Bemühungen lösen das Problem unserer Sünden nicht. Die Bibel macht das klar, wenn sie vom einzig gangbaren Weg spricht:

Denn aus Gnade seid ihr durch den Glauben gerettet, nicht aus eigener Kraft – Gott hat es geschenkt –, nicht aus Werken, damit keiner sich rühmen kann. Epheser 2:8-9

Ja, einer der berühmtesten Widersprüche der Bibel. Während diese Position (nur durch den Glauben wird man erlöst) ausschließlich im neuen Testament vorkommt, gibt es für die gegensätzliche Position (nur durch gute Taten wird man erlöst) viel mehr Stellen, sowohl im alten als auch im neuen Testament. Sogar in anderen Paulusbriefen! Das Buch, mit dem man alles und sein Gegenteil beweisen kann, demonstriert seine Flexibilität. Kein Wunder, dass viele Christen darauf vertrauen, ihr Glaube wäre ausreichend, sie müssten sich nicht richtig verhalten. Diese Behauptungen sind schädlich und moralisch fragwürdig.

Gott neigt sich zu uns hinab. Er kehrt unsere Sünden nicht unter den Teppich, sondern nimmt sie auf sich.

Wäre im Garten Eden eigentlich weniger Arbeit für Gott gewesen, aber wie würden dann seine MissionarInnen die Notwendigkeit, sich ihnen anzuschließen, heute rechtfertigen?

Befreit: Gott hat in seiner unendlichen Liebe seinen einzigen Sohn, Jesus Christus für uns geopfert, damit er Vergebung für unsere Sünden vergeben kann. Im Kreuz wird das Symbol seiner Liebe und Gerechtigkeit dargestellt.

Wow. Zuerst redet ihr uns ein, dass Vergebung ein Geschenk ist und nicht von einer Gegenleistung abhängt. Dann soll doch ein Menschenopfer die Bedingung sein (damit … kann). Menschenopfer aus Liebe? Ein antikes Folterwerkzeug als Symbol der Liebe und Gerechtigkeit?

Diese Lehren sind weder logisch noch lassen sie eine zivilisierte Weltsicht erkennen.

Übrigens ist die Behauptung, Jesus sei der einzige Sohn Gottes, gerade von angeblich bibeltreuen Christen etwas verwunderlich: Das alte Testament nennt in wichtigen und viel zitierten Büchern (1 Mose 6 und Hiob) Gottessöhne, von denen einer Satan sein soll. (Klar, dass Gott nur Söhne haben kann, Töchter wären unter seiner Würde.) In frühen Zeiten sollen die Gottessöhne sogar mit menschlichen Frauen Kinder oder sogar Riesen gezeugt haben. Die Märchenbuch-Redaktion hat an dieser Stelle nicht gut aufgepasst.

Wie du mir, so ich dir? Die Gnade ist eine unbeschreiblich große Kraft, die unser Leben vollkommen verändern kann. Sie bestimmt nicht nur unsere Verbindung mit Gott, sondern auch die mit unseren Menschen.

Die Erwartung einer versprochenen Gnade, die erst nach dem Tod eintritt, macht uns zu besseren Menschen? Wenn das nur sichtbar wäre, z. B. in der Form, dass ChristInnen sich großzügiger verhalten! Das ist laut Studien nicht so klar: Intrinsic and ortodox religion are aligned with positive views toward helping others but inversely related to actual altruistic behaviour. Sie sagen, anderen zu helfen, wäre eine Tugend, und tun es dann weniger als Nicht-Gläubige. Kein Wunder bei einer so negativen und schädlichen Religion mit der Tendenz, Andersgläubige auszuschließen.

Die Lebensqualität ist in weniger religiösen Ländern besser, das ist Fakt. Das gilt für ganze Länder und auch innerhalb. Fundamentalistische ChristInnen wollen das trotz der starken Evidenz nicht wahrhaben und ruinieren lieber das Leben für andere, wo sie es können, wenn sie an der Macht sind – siehe USA unter dem von evangelikalen Nationalisten gestützten Donald Trump.

Ein Geschenk ist ein Geschenk: Wen Gott begnadigt hat, kann immer noch Schulden haben. Aber solange wir leben, kämpfen wir gegen die Sünde. Wir sind nicht perfekt und werden es auch nicht. Aber das sollte niemanden entmutigen. Wer um Entschuldigung bittet und auch anderen verzeiht, bleibt in der Gnade.

Aha, also doch vom richtigen Verhalten abhängig? Entscheidet euch.

Und warum muss man dann überhaupt christlich sein? Oder gibt ein eitler Gott das Geschenk der Gnade nur seinen AnhängerInnen?

Unser Fürsprecher steht immer neben uns: Wenn aber einer sündigt, haben wir einen Beistand beim Vater: Jesus Christus, den Gerechten. (1 Joh 2:1)

Unsere Sünde wurde gelöscht, die Schuld abgezahlt. Das erweckt Freude. Und die Freude kann man nicht verbergen. Wer diese Gnade erfahren hat, redet gerne darüber. Die Gnade muss ich weder verdienen, noch Angst haben, sie zu verlieren.

Also wieder ohne Gegenleistung? Wirr. Wir kommen langsam in die Phase, in der man das nur mehr als Gaslighting bezeichnen kann. Wikipedia schreibt: Als Gaslighting wird in der Psychologie eine Form von psychischer Gewalt beziehungsweise Missbrauch bezeichnet, mit der Opfer gezielt desorientiert, manipuliert und zutiefst verunsichert werden und ihr Realitäts- und Selbstbewusstsein allmählich deformiert bzw. zerstört wird.

Passt erstaunlich genau auf Religion, wie es auch Podcaster und andere wiederholt festgestellt haben.

Die Fragen bieten wieder eine Gelegenheit, meine Zweifel anzumelden: Bei der Frage nach der Vergebung der Sünden merke ich an, dass die dort zitierte Bibelstelle Joh 3:16 den Glauben gegenüber einem guten Leben in den Vordergrund stellt. Ich bin gespannt auf die Erklärung zu den Gottessöhnen. Es gibt dazu ja auch seriöse religionshistorische und etymologische Forschung, die bibeltreuen Richtungen des Christentums interessieren sich nur selten dafür, den Kontext ihrer makellosen Bibel auch kennenzulernen.

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